Zum Prozess in Stuttgart

Anmerkung: Am Tag, als Latife im Sommer 2013 verhaftet wurde, fanden am gleichzeitig europaweit Razzien, Durchsuchungen und Festnahmen gegen mutmaßliche Mitglieder der Anatolischen Föderation statt. Neben Latife wurden auch Muzaffer Dogan, Özgür Aslan, Sonnur Demiray und Yusuf Tas inhaftiert. Im Gegensatz zu Latife sitzen sie bereits seit zwei Jahren in Untersuchungshaft, ihre Fälle werden in Stuttgart-Stammheim verhandelt.

Auch wenn ihre Verfahren von dem gegen Latife abgetrennt wurden, ist der Prozess in Stuttgart bezüglich der Bewertung der politischen Arbeit von Migrant*innen auch für das Verfahren vor dem OLG Düsseldorf von Bedeutung. Wir haben uns daher entschieden, den Prozessbericht aus Stuttgart an dieser Stelle zu veröffentlichen.

(Quelle: linksunten.indymedia)

Bundesanwaltschaft las Anklageschrift vor – Pozeßbericht aus dem OLG zum Prozeß gegen die Anatolische Föderation, 02. Juli 2015

Anträge von Anwälten abgelehnt

Der Prozeß begann damit, dass der Vorsitzende des Senats, Hermann Wieland, stellv. Ortsvorsitzender der CDU in Kressbonn, höchstens 1,65 m groß, sämtliche Anträge der Anwälte abgelehnt hat. Der vierte abgelehnte Antrag ist besonders interessant. Dieser betrifft nämlich die Forderung, einen Sachverständigergutachten über die aggressive Politik der Türkei gegenüber Syrien anfertigen zu lassen. Der Senat wüsste nicht, wer überhaupt so einen Sachverständigergutachten erstellen könne. Außerdem wäre das nicht relevant für das Verfahren.

Möglicherweise war das sein Racheakt an den Anwälten. Diese hatten vor ein paar Verfahren „Befangenheitsantrag in drei Fällen“ gestellt. Prozeßbeobachter berichten, Herr Wieland wäre knallrot angelaufen. Man hätte ihm richtig ansehen können, dass er kurz vor dem Explodieren stand.

Bundesanwaltschaft liest Anklageschrift vor

Dann übernahm die Bundesanwaltschaft an diesem Tag das Wort. Sie las die Anklageschrift vor. Der Staatsanwalt begann mit dem Schlußwort von Muzaffer Dogan: „Der Kampf gegen Rassismus und Faschismus ist kein Verbrechen, sondern Pflicht eines Jeden“. Dieser Ansatz sei äußerst begrüßenswert. Der Zweck heilige aber nicht alle Mittel. Religionen, sowie politische Ideologien hätten es sich auf die Fahne geschrieben, für die gerechte Sache zu kämpfen. Das gälte auch für die DHKP-C. Aber die DHKP-C würde nun mal einen bewaffneten Kampf führen anstatt eines Demokratischen.

Für die Anklage seien die getöteten Menschen wichtig, deren Angehörige. Der DHKP-C seien diese gleichgültig. Dasselbe gälte auch für die Menschen, welche die DHKP-C unterstützen. Auch wenn diese auch nicht selber am bewaffneten Kampf beteiligt wären, würden sie eine Basis schaffen, den bewaffneten Kampf durchzuführen. Als Beweis, dass dem so ist, führten sie Gedenkfeiern für Selbstmordattentäter (wie Ecevit Sanli), Durchführen privater Feiern und öffentlicher Veranstaltungen auf. Dies käme alles der DHKP-C zugute. Diese würde sich in der Terrorliste der EU befinden. Somit käme dies der Unterstützung einer terroristischen Organisation gleich.

Dann führte die Bundesanwaltschaft die Struktur der DHKP-C auf, wie sie es benötigte für eine Verurteilung der Angeklagten: Es handele sich eine marxistisch-leninistische Kaderorganisation mit strengen hierarchischen Strukturen. Es folgte eine lange Auflistung zur DHKP-C. Gegründet 1994, Generalsekretär Dursun Karatas, Nachfolge nach seinem Tod nicht bekannt. Die aktuelle Besetzung der Zentralkommittees sei auch nicht bekannt.

Nach den Festnahmen in Deutschland hätte es viele Positionswechsel gegeben innerhalb der Organisation. Anstelle von Gülaferit Ünsal sei nun Musa Asoglu der neue Europaverantwortliche. Anstelle seiner Ehefrau Nurhan Erdem wäre Sadi Özpolat gefolgt als Deutschlandverantwortlicher. Wer jetzt Deutschlandverantwortlicher wäre, sei nicht bekannt. Außerdem gäbe es auch Sonderaufgabe, teils der Partei unterstellt, teils der Rückfront in Deutschland.

Dann ging die Bundesanwaltschaft auf angebliche Büros der DHKP-C ein. Eine davon wäre das Özgürlük Pressebüro in Amsterdam gewesen. „Getarnt“ als ein Büro, dass Erklärungen, Presseartikel veröffentlicht usw… Die DHKP-C hätte gedacht, dass sie in Niederlande ungestört hätte agieren können. Warum diese Büros so viel Wert für die Staatsanwälte hatten, stellte sich hinterher heraus: Sonnur Demiray soll dort Verantwortliche gewesen sein.

Belastet wurde sie durch den V-Mann Alaattin Ates. Zur Tarnung würde die DHKP-C außerdem sogenannte Kulturvereine gründen. Und „Tarnorganisationen“ wie die Anatolische Föderation benutzen. Die Anatolische Föderation wäre damals direkt von der damaligen Europaverantwortlichen Gülaferit Ünsal gegründet worden.

Die DHKP-C wolle einen marxistisch-leninistischen Staat gründen.

Sie hätte seit 1994 durch die bewaffneten Propagandaeinheiten zahlreiche Morde begangen. Seit 2001 würden sie auch Selbstmordanschläge durchführen. Die Kämpfer würde man in Camps ausbilden. Zuletzt hätte die DHKP-C einen Staatsanwalt in Istanbul getötet. Die Bundesanwaltschaft führte eine Reihe von „Anschlägen“ der DHKP-C auf. Eines der spektakulärsten wäre der Mord an dem ehemaligen Justizminister Mehmet Topac gewesen. In ihren Ausführungen legte die Bundesanwaltschaft auch grossen Wert, auf den „Selbstmordanschlag“, die DHKP-C würde diese als „Aufopferungskämpfer“ bezeichnen, von Ecevit Sanli gegen die US-Botschaft im Jahre 2013.

Sie erwähnte auch immer, mit welchem Bekennerschreiben sich die Organisation für welche Aktion bekannt habe. Die Staatsanwälte wollten somit sicherstellen, dass diese Aktionen auch wirklich von der DHKP-C durchgeführt wurden. Natürlich blieb auch die Zeitschrift Yürüyüs nicht verschont. Der Verkauf dessen, sei eines der Haupteinnahmequellen. Und diese sei jüngst durch den Innenminister verboten worden.

Belastende Aussagen vom V-Mann

Dann ging man lang und breit auf die belastenden Aussagen von Alaattin Ates ein. Die Rechtsanwälte der Angeklagten hatten versucht dessen Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. Sie warfen ihm außerdem einen „Belastungseifer“ vor.

Nun versuchte die Bundesanwaltschaft mit allen Mitteln zu beweisen, dass der Kronzeuge glaubwürdig wäre und keinen „Belastungseifer“ an den Tag gelegt habe. Des weiteren würden sich die von Ates gelieferten Informationen mit den Ermittlungsangaben decken. Das Wissen von Ates über die Strukturen wäre somit glaubwürdig. Auch wären seine Angaben durch in Niederlande sichergestellten Datenträger gedeckt.

Auch gäbe es überhaupt keinen Zweifel, dass die Darstellung der Strukturen stimmten, weil die Bekennerschreiben der DHKP-C dies bestätigten. Die Organisation würde sofort dementieren, wenn etwas nicht zutreffe. Sie wäre z.B. empört darüber gewesen, als es Behauptungen gab, der Anschlag auf Sabanci wäre möglicherweise von einer dritten Organisation durchgeführt worden. Genauso nahmen sie sofort ein Bekennerschreiben im Januar zurück, als sich herausstellte, dass die Aktion von Tschetschenen begannen wurde.

Heuchelt nicht vor, ihr würdet nur Anti-Rassismus-Arbeit machen

Die Staatsanwältin übernahm das Wort, welches geradezu einer Provokation gleich kam.
Die Angeklagten, welche ja alle in Wirklichkeit Kader der DHKP-C wären, täten so, also würden sie lediglich legale anti-rassistische und anti-faschistischen Arbeit betreiben. Was würde wohl all jene über ihr Verhalten denken, die ebenfalls in Deutschland tätig waren und dann ihr Leben gelassen haben?

Was würde wohl Ecevit Sanli von ihrem Verhalten halten? Die Staatsanwältin führte ihre Ausführungen fort, was man zusammenfassen könnte mit: „Steht doch bitte hinter dem was ihr seid, verratet euren Kampf nicht“. Ganz offensichtlich ärgert sich die Bundesanwaltschaft über die viele Arbeit, die sie erledigen müssen. Wie wäre es doch schön, wenn alle Angeklagten einfach sagten: „na klar bin ein Kader und Kämpfer der DHKP-C“. Dann hätte die Bundesanwaltschaft überhaupt kein Problem für alle Angeklagten die Höchststrafe durchzukriechen.

Es folgte eine lange Ausführung zu den einzelnen Angeklagten. Bei der Ausführung zu Özgür Aslan war es teilweise schon so lächerlich, dass die Zuschauer sich Witze nicht verkneifen konnten.

Sein Handy wäre des öfteren in der Nähe der Wohnung seiner Verlobten xxxxx geortet worden. Daraus könnte man schließen, dass die beiden eine Beziehung haben… Welch eine Spitzfindigkeit. Özgür Aslan hat eine Beziehung mit seiner Verlobten!

Bei den Ausführungen von Sonnur Demiray ging die Bundesanwaltschaft ebenfalls auf ihre Beziehung ein, die Flitterwochen wäre sie getrennt von ihrem Ehemann zurückgekommen. Sonnur Demiray hätte gleich nach der Rückkehr von ihren Flitterwochen aus Griechenland an einem Picknick der Anatolischen Föderation teilgenommen. Ein klarer Beweis, dass beide Funktionäre der DHKP-C sind!

Grup Yorum

Für die Bundesanwaltschaft stand auch außer Frage, dass Grup Yorum mit ihren Konzerten die DHKP-C unterstütze. Begründung: Es gäbe Aufnahmen von den Grup Yorum Konzerten 2012-2014. Bei der Verhaftung von Nurhan Erdem hätte man einen USB-Stick gefunden, wo sich eine Datei befand, die beschreibt, „wie man einen Konzert veranstaltet“. Und die Aufnahmen zeigten, dass diese genauso veranstaltet würden, wie es in der Datei beschrieben wäre.

Die Logik lässt sehr zu wünschen übrig. Nurhan Erdem war Vorsitzende der Anatolischen Föderation. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Anatolische Föderation Konzerte nach diesen Vorgaben macht. Warum sollte das Grup Yorum in irgendwelcher Art zur Last gelegt werden können? Eine Band hat schließlich keinen Einfluss auf das Format der Veranstaltung, auf der sie auftritt. Nach dieser Logik, müssten ja dann auch all die anderen Künstler, die auf diesem K.onzert auftraten, verdächtig werden. Warum dann also nur Grup Yorum?

Rüffel für Prozeßbeobachter

Ganz am Ende habe auch noch ich, als Prozeßbeobachterin meinen Teil abgekommen. Als Prozeßbeobachter(in), hab die ganze Zeit fleißig mitgeschrieben, immer brav zugehört. Andere Zusschauer(innen) haben die ganze Zeit geredet, sogar teilweise so laut, dass es die anderen Zuschauer(innen) störte. Das wäre auch während der anderen Prozeßtage nicht anders gewesen.

Meine Nachbarin hat sich meinen Ausweis angeguckt (lag neben mir weil wir die Taschen abgegeben mussten) und plötzlich wurde ich wie aus heiterem Himmel vom Richter verwarnt, ich soll die Unterhaltungen bleiben lassen, ansonsten würde er mich aus dem Raum schmeißen. Ich erwiderte darauf total überrascht „meinen Sie mich? Ich wundere mich jetzt aber schon ein wenig, weil ich hier die ganze Zeit zuhöre“.

Daraufhin schreit mich Richter Wieland an, „er würde nicht diskutieren, die Zuschauer haben zu schweigen“. Ich habe dann noch mal erwidert „aber ich habe doch gar nicht gesprochen“ da meinte er nur in einem autoritären Ton „ich diskutiere nicht, Ruhe jetzt“. Wieland schien sich nicht ausgetobt haben zu können. Er wies die Justizvollzugbeamten auch noch an, meine Personalien „festzustellen“. (Welch eine Komik! Meine Personalien wurden schon beim Eingang festgestellt, eine Kopie meines Ausweises gemacht). Dann drohte er mir „weiter Maßnahmen“ an, falls ich mich nicht an seine Weisungen halte“.

Ich muss sagen, dass ich zum ersten Mal richtig seine Stimme gehört habe. Sonst murmelte er geradezu vor sich hin, nur mit äußerster Mühe konnte man den Richter überhaupt verstehen. Er kann aber auch deutlich sprechen, dass kann ich bestätigen. Und er behandelte mich noch glimpflich. Er kann Leute nämlich auch beschimpfen und beleidigen – wie er das bei Brigitte Mohnhaupt getan hat.

Aber eins nach dem anderen.

Wieland-der Terror-Experte Deutschlands schlechthin

Wer weiß, vielleicht ließ er seine Wut über die Befangenheitsanträge gegen ihn an mir aus?
Dabei sind diese Anträge alles andere als unberechtigt.

Richter Wieland ist geradezu „spezialisiert auf „Terrorprozesse“. So hat er bereits in der Vergangenheit RAF-Angeklagte verhört. Wieland hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Mörder vom Generalbundesanwalt Siegfried Buback herauszufinden. Darunter befragte er schon „Prominenz“ wie Verena Becker, Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar. Als Brigitte Mohnhaupt von ihrem „rechtsstaatlichen Schweigerecht“ Gebrauch machte, beschimpfte sie Richter Wieland mit den Worten sie „habe kein Gewissen und keine Moral und werde sich im Jenseits für ihre Taten zu verantworten haben“.

Auch auf Christian Klar redete Wieland mit Engelszungen ein. „Klar möge heute die historische Gelegenheit nutzen zur Wahrheit und Aufklärung beizutragen“. Dann legte er noch einen Gang zu: „Die Eltern von Klar, würden, wären sie im Saal anwesend, sicherlich von ihrem Sohne fordern Christian sprich“. Eine Aussage Klars würde zweifellos „in die Annalen der Rechtsgeschichte“ eingehen.

Wie man sieht, scheint „moralischer Druck“ ein gängiges Mittel unter den Juristen zu sein, um die Befragten einzuweichen. Die einen appellieren mit „Ecevit Sanli“, die anderen mit Christian Klars Eltern.

Richter Wieland nimmt sich auch Prozesse von Islamisten an. Auffallend sind dabei die „milden Urteile“, die er gegen diese fällt. Der Prozeß endete im März dieses Jahres und die Angeklagten sollen Mitglied der Jamwa sein, eine Gruppe, welche der IS sehr nahesteht.
Und obwohl bei diesem Fall die Angeklagten auch tatsächlich in Syrien waren, bekamen sie Strafmaße, bei dem im Höchstsatz 4,5 Jahre ausfiel. Bei dem Urteilsspruch hieß es auch: „Bei der Strafzumessung habe man berücksichtigt, dass es sich bei der Jamwa um eine besonders gefährliche terroristische Vereinigung handelte“.

Prozeßplanung
Ich denke, man kann sich leicht vorstellen, welches Strafmaß Wieland & Co bei den Mitgliedern der Anatolischen Föderation aussprechen werden.

Darum ist Prozessbeobachtung und wenn es geht möglichst zahlreich, von großem Belang.

So sieht die Planung aus:
09.07: Plädoyer Verteidigung
23.07. :Schlußwort Angeklagten
28.07: Urteilsverkündung