Zum Verfahren gegen Latife

Am Abend des 15.Juni 2013 stürmte die türkische Polizei zum zweiten Mal den von einer friedlichen Menge besetzten Gezi-Park in Istanbul. Der brutale und menschenverachtende Einsatz, dem viele Menschen zum Opfer fielen, löste weltweit Empörung und teils scharfe Kritik an der AKP-Regierung und Tayip Erdogan aus. Deutsche Politiker*innen überboten sich mit Solidaritätsbekundungen für die verletzten Demonstrierenden und verurteilten das Vorgehen des türkischen Staates. In Folge der Räumung kam es zu teilweise massiven Straßenschlachten und Massenverhaftungen. Die Niederschlagung der Gezi-Proteste kostete mehrere Menschenleben. Noch während Politiker*innen und Öffentlichkeit Kritik am repressiven Kurs der türkischen Regierung äußerten, trafen sich in der Türkei Vertreter*innen deutscher und türkischer Sicherheitsbehörden.

Zehn Tage nach der zweiten Räumung des Gezi-Parks wurde unsere Freundin Latife verhaftet. Vorgeworfen wurde ihr und anderen an jenem Tag Inhaftierten die Unterstützung der militanten türkischen „DHKP-C“, deren Anhänger*innen eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der Gezi-Proteste gespielt hatten. Im Beisein ihrer erst vierzehn­jäh­rigen Tochter wurde Latife In den frühen Morgenstunden des  26.Juni 2013 von einem in die Wohnung stürmenden SEK überwältigt, gewaltsam zu Boden geworfen und mitge­nommen. Anlass der Aktion und der zeitgleich statt­fin­denden Durchsuchungen mehrerer Räume in Wuppertal war ein Ermittlungsverfahren nach §129b in Verbindung mit §129a des Generalbundesanwalts und des LKA Düsseldorf.

Begründet wurde der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung mit verschiedenen Tätigkeiten im Rahmen des Vereins „Anatolische Föderation“, der seinen Sitz in Wuppertal hat und dessen Vorsitzende Latife war. Ein Hauptvorwurf war die Beteiligung an der Organisation des „Grup Yorum“-Konzertes in Oberhausen, bei dem zum Höhepunkt der Gezi-Proteste in Istanbul über 15.000 Menschen zusammenkamen.

Nach ihrer Verhaftung kam sie zunächst in Isolationshaft in der JVA Gelsenkirchen. Später wurden die Haftbedingungen etwas gelockert. Nach 41 Tagen kam sie schließlich gegen Kaution vorläufig frei. Seither wartete sie zwei Jahre auf den Prozessbeginn und musste in dieser Zeit erhebliche Auflagen erfüllen (Kontaktverbote, ständige Meldungen bei der Polizei, Verlassen der Stadt nur nach Antrag). Am 18. Juni 2015 hat das Verfahren nach den Paragraphen 129 a und b vor dem OLG Düsseldorf nun begonnen.

Latife war und ist für linke und solidarische Strukturen in Wuppertal eine verlässliche und vertrauensvolle Partnerin. Sie hat an vielfältigen breit organisierten Kampagnen und Veranstaltungen mitgewirkt. Latife arbeitete aktiv in antifaschistischen Bündnissen, so bereitete sie gemeinsam mit vielen anderen 2013 die große Gedenkdemonstration zum 20.Jahrestag des mörderischen Brandanschlags auf das Haus der Familie Genç in Solingen mit vor. Zum Zeitpunkt der Razzia waren zudem in Wuppertal und vielen anderen Städten große Solidaritätsbewegungen für die in der Türkei protestierenden Menschen entstanden, teilweise fanden beinahe täglich Demonstrationen und Kundgebungen statt. In dieser „Gezi-Solidarität“ engagierte sich Latife als verbindende und verbindliche Freundin. Die Aktion der Staatsmacht blieb auf die im Sommer 2013 entstandene neue Solidarität in Wuppertal nicht ohne Folgen.

Ihre Verhaftung und der bevorstehende Prozess waren für viele in Wuppertal aktive Menschen ein Schock. Es entstand eine breite Solidarität mit der zweifachen Mutter (siehe Weblinks unten). Es ist daher selbstverständlich, dass nun auch der Prozess vor dem OLG Düsseldorf von ihren Freunden und Freundinnen begleitet wird. An dieser Stelle werden wir über das Verfahren berichten und eigene Einschätzungen veröffentlichen.

Die §§129 a und b sind politische Willkürparagraphen, die der Ausforschung, Einschüchterung und der Verhinderung von Solidarität dienen. Die Paragraphen 129 a und b müssen ersatzlos und sofort gestrichen werden!

Freunde und Freundinnen von Latife am 18.6.2015

Links zu Veröffentlichungen im Zusammenhang mit Latifes Verhaftung:

Erklärung des so_ko_wpt (soli-komitee wuppertal) zur Verhaftung
Erklärung des Informationsbüro Nicaragua
Erklärung der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen

Artikel zur Solidaritätskundgebung an der JVA Gelsenkirchen
Brief von Latife an die Unterstützer*innen nach der Haftentlassung

Hintergrundtext zur Isolationshaft
Hintergundtext zu den Paragraphen 129 a und b