(Quelle: Stuttgarter Nachrichten)
Terrorhelfer gehen mit Applaus hinter Gitter
Anschläge in der Türkei
George Stavrakis, 29.07.2015
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat drei Männer und eine Frau zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Die türkischen Angeklagten sollen Mitglieder der terroristischen DHKP-C sein, die Anschläge in der Türkei verübt.
Mit stehendem Applaus und lautstarken Parolen wie „Hoch die internationale Solidarität“ haben zahlreiche Unterstützer drei Türken und einer Türkin nach der Urteilsverkündung den Rücken gestärkt. Die Angeklagten sind am Dienstag vom 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart zu Gefängnisstrafen von knapp fünf Jahren bis sechs Jahren verurteilt worden. Sie sind der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland für schuldig befunden worden. Sie seien unter anderem in Stuttgart für die türkische Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKP-C) aktiv gewesen.
Die DHKP-C gilt als Terrorvereinigung, deren bewaffneter Kampf das gegenwärtige staatliche System der Türkei beseitigen und durch ein marxistisch-leninistisches Regime ersetzen soll. Seit ihrer Gründung 1994 soll die DHKP-C zahlreiche Tötungsdelikte und Anschläge verübt haben. So habe sie im Sommer 2012 eine regelrechte Anschlagserie gestartet. Die Serie fand ihre Fortsetzung im Februar 2013, als sich ein Selbstmordattentäter im Eingang der US-Botschaft in Ankara in die Luft sprengte und einen Wachmann mit in den Tod riss. Dieser Attentäter soll zuvor als Mitglied der DHKP-C in Deutschland aktiv gewesen sein.
Am 31. März dieses Jahres nahmen DHKP-C-Terroristen in Istanbul einen Staatsanwalt als Geisel. Der Jurist erlag später seinen Verletzungen. „Die DHKP-C ist die militanteste und gefährlichste Organisation in der Türkei“, sagt Hermann Wieland, Vorsitzender des 6. Strafsenats.
In 61 Verhandlungstagen haben die Beteiligten rund 50 Zeugen gehört. Der Papierwust umfasste 60 000 Blatt Urkunden und rund 5500 Gerichtsakten. Laut Wieland habe der Prozess rund 900 000 Euro gekostet – ohne die Kosten für die Ermittlungsarbeit.
Die vier Angeklagten hatten eisern geschwiegen, die Verteidigung hatte den Senat und überhaupt die ganze Hauptverhandlung kritisiert, was Richter Wieland zu der Äußerungen veranlasst: „Es ist eine Verleumdung des Senats und der Ermittlungsbehörden, wenn gesagt wird, das Urteil sei vorgefasst gewesen.“ Man habe die staatlichen Gegebenheiten in der Türkei und die dortigen Missstände durchaus berücksichtigt, so der Senatsvorsitzende. „Diese Missstände rechtfertigen aber nicht Mord und Totschlag“, so Wieland.
Direkt an den Anschlägen waren die Angeklagten nicht beteiligt, sie sollen die DHKP-C als sogenannte Rückfront unter anderem in Deutschland unterstützt haben.
So sei der 34-jährige Angeklagte seit Mitte 2008 Stuttgart-Verantwortlicher gewesen. Seine 38-jährige Mitangeklagte habe im Gebiet Hannover eine Leitungsfunktion im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit innegehabt. Die zwei anderen 44 und 41 Jahre alten Männer seien im Gebiet Duisburg, Stuttgart und Berlin eingesetzt gewesen. Sie sollen Geld gesammelt, Nachwuchs rekrutiert und teils Waffenransporte in die Türkei organisiert haben. Dabei, so heißt es, sei die kommunistische DHKP-C immer rigoroser vorgegangen. „In letzter Zeit wurden auch Selbstmordattentäter rekrutiert und in die Türkei geschickt“, so Richter Wieland.
Zwei der vier Angeklagten sind Aleviten und waren deshalb in der Türkei massiven Repressalien ausgesetzt, ehe sie das Land verließen. Der 41-Jährige gehört einer christlichen Minderheit in der Türkei an. Deshalb war es ihm versagt, in der Türkei zu studieren. Der Weg der Angeklagten führte schließlich zur DHKP-C und hinter Gitter.