(Quelle: junge Welt)
Nach »Gummiparagraph« verurteilt
Kritik an Haftstrafen für vier mutmaßliche DHKP-C-Aktivisten, die Konzerte organisierten
Wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland hat das Oberlandesgericht Stuttgart am Dienstag drei Männer und eine Frau zu Gefängnisstrafen von bis zu sechs Jahren verurteilt. Der Strafsenat sah es am Dienstag als erwiesen an, dass die türkischen Angeklagten im Alter von 34 bis 44 Jahren lange Zeit in der »Revolutionären Volksbefreiungspartei/-front (DHKP-C)« aktiv gewesen sind, meldete die Nachrichtenagentur dpa. Nach Angaben der linken Rechtshilfeorganisation gehörten Muzaffer D., Yusuf T., Sonnur D. und Özgür A. der Anatolischen Föderation an und waren am 26. Juni 2013 im Zuge einer internationalen Großrazzia gegen linke türkische Vereinsstrukturen festgenommen worden, nachdem sie legale Öffentlichkeits- und Kulturarbeit geleistet hatten. Seither, so die Rote Hilfe, hätten sie in Isolationshaft gesessen.
Nach Überzeugung des Gerichts hatten die vier Angeklagten unter anderem in Stuttgart und Köln sowie in den Regionen Hannover und Duisburg Geld für die DHKP-C gesammelt und für sie geworben. Die vier Personen sollen dabei in Führungsfunktionen tätig gewesen sein. Ein Verteidiger kündigte laut Gericht Revision gegen das Urteil an.
Der DHKP-C wird unter anderem ein Selbstmordattentat im Februar 2013 in der US-Botschaft in Ankara zur Last gelegt. Sie soll zudem für eine Geiselnahme im März 2015 in Istanbul verantwortlich sein, bei der auch ein Staatsanwalt getötet wurde. »Bei den Aktivitäten, die den Angeklagten vorgeworfen werden, handelt es sich um vollkommen legale Tätigkeiten im politischen und kulturellen Bereich wie Informationsarbeit, Spendensammlungen und die Organisierung von Musikveranstaltungen, darunter vor allem ein Großkonzert mit der beliebten türkischen Band ›Grup Yorum‹«, erklärte die Rote Hilfe am Dienstag zur Urteilsverkündung. Das Gesetz, das die Betätigung für »terroristische Organisationen im Ausland« unter Strafe stellt, sei ein »Gummiparagraph«, der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 unter dem Vorwand eingeführt worden sei, islamistische Gruppen bekämpfen zu wollen. Die Rote Hilfe setze sich die für seine Abschaffung ein und fordere die Einstellung derartiger Verfahren.
»Tatsächlich kommt der neue Paragraph aber in erster Linie gegen linke Bewegungen zum Einsatz und dient der umfassenden Kriminalisierung politischer Basisarbeit«, kritisierte die Rechtshilfeorganisation. Diese Einstufung gemäß Paragraph 129b sei politisch motiviert und interessengeleitet: »Bei wechselnden Allianzen können sich ›Terrorgruppen‹ in Windeseile zu legitimen Freiheitsbewegungen wandeln – oder umgekehrt.« Im Fall des NATO-Partners Türkei sei die Beurteilung klar: »Terroristisch ist, wer vom repressiven Regime unter Erdogan verfolgt wird, weshalb in den letzten Jahren zahlreiche 129b-Prozesse gegen vermeintliche Mitglieder der linken türkischen DHKP-C und der kurdischen PKK mit langjährigen Haftstrafen endeten«, erklärte die Rote Hilfe auch mit Blick auf die Arbeiterpartei Kurdistans. (jW)