Repressionsverschärfung auf allen Ebenen.
Nicht nur neue Polizeigesetze verändern die Bedingungen politischer Arbeit
Seit dem 21.6. befindet sich unsere Freundin Latife in der JVA Willich. Sie soll dort eine über dreijährige Haftstrafe absitzen, obwohl der Antifaschistin keinerlei strafbare Handlung nachgewiesen werden konnte – trotz einer alle Bereiche ihres Lebens betreffenden Überwachung und Bespitzelung. Das Urteil bedeutet eine starke Ausweitung der juristischen Anwendbarkeit der „Terrorismus“-Paragraphen 129 a+b und eine bedrohliche Veränderung der Bedingungen politischen Engagements.
Verschärfung der Repression, und niemand kriegt es mit: § 129-Verfahren finden ohne öffentliches Interesse statt.
In ganz Europa findet zur Zeit eine starke Verschärfung repressiver Politik statt. Rechte Politiker*innen und Vertreter*innen der Staatsgewalt nutzen systematisch geschürte Ängste und rechte Diskursverschiebungen zur Ausweitung von polizeilichen Befugnissen, repressiven Gesetzen und ausufernden Überwachungsmaßnahmen. Dass zuletzt die Innenministerien in Österreich, Italien und Deutschland jeweils mit ausgesprochenen Vertretern neo-rechter Politik besetzt wurden, ist logische Voraussetzung. Der Rechtsruck soll abgesichert werden, bevor sich Widerstand überhaupt formieren kann.
Doch während Gesetzesvorhaben wie das neue Polizeiaufgabengesetz in Bayern oder das neue Polizeigesetz in NRW zumindest breite Aufmerksamkeit und Proteste hervorrufen, finden andere, nicht weniger bedrohliche Repressionsverschärfungen auf juristischer Ebene nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit statt. In mehreren Verfahren, in denen Menschen wegen der Paragraphen 129 a und 129 b angeklagt sind (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) werden aktuell Bedingungen dafür geschaffen, Personen ohne konkrete Tatvorwürfe wegen legaler politischer Betätigung zu jahrelangen Haftstrafen zu verurteilen. Zukünftig sind für Ermittlungen und Anklagen nach Paragraph 129 a oder 129 b weder die Einstufung einer Organisation als „terroristisch“ (siehe z.B. den monströsen „TKP/ML-Prozess“ in München) noch der konkrete Nachweis einer „Mitgliedschaft“ Voraussetzung – wie im Verfahren gegen unsere Freundin Latife.
Eine unterstellte „innere Übereinstimmung“ reicht künftig aus, jemanden zur Terroristin zu machen und zu inhaftieren.
Im Verfahren gegen Latife reichte es dem Staatsschutzsenat am OLG Düsseldorf aus, ihr eine Mitgliedschaft aus „innerer Übereinstimmung“ mit der türkischen DHKP-C zu unterstellen, um legale antifaschistische und antirassistische Arbeit zu kriminalisieren. Das Gericht verurteilte die seit über 30 Jahren in Deutschland lebende Altenpflegerin und Mutter aus Wuppertal nach anderthalb Jahren Prozess zu drei Jahren und drei Monaten Haft; trotz des eigenen Eingeständnisses, „keine unmittelbaren Beweise für konkrete Vorgaben (…) durch Führungskader der DHKP-C gefunden [zu haben]“ Der Staatsschutzsenat zeigte sich schlicht „davon überzeugt, dass sich die Angeklagte in die DHKP-C eingebunden hat.“ (Zitat aus dem Urteil) Begründet wurde diese Überzeugung mit bei der Durchsuchung von Latifes Wohnung gefundenen legalen Büchern, Filmen und Zeitschriften.
Durch die Konstruktion der „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ aus „innerer Übereinstimmung“ wurden Teilnahmen an angemeldeten Demonstrationen (z.B. während der „Gezi“-Solidarität und der Gedenkdemo zum 20. Jahrestag des Brandanschlages in Solingen), migrantische Arbeit mit Familien und Jugendlichen oder der Verkauf von Obst und Fingerfood bei Festivals oder Konzerten zum Bestandteil der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf.
Sich der Legalität eigenen Handelns nie sicher sein zu können zielt auf die Einschüchterung jeder Opposition ab.
So absurd das klingt, so ernst sind die Folgen für Latife und ihre Familie. Die durch die Ablehnung des Revisionsantrages durch den BGH jetzt legitimierte Willkürlichkeit bei der Konstruktion einer nachträglichen „Mitgliedschaft“ in einer „terroristischen Vereinigung“ stellt für politisch Aktive eine existenzielle Bedrohung dar. Wenn legales Handeln künftig willkürlich und nachträglich durch eine lediglich unterstellte „innere Übereinstimmung“ mit den Zielen einer Organisation illegalisiert werden kann, wird es unmöglich, in Betrachtung der Gesetzeslage zu handeln. Politisches Engagement ist dann immer bedroht, mit dem stetig erweiterten Spektrum staatlicher Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen konfrontiert zu werden. Diese Verunsicherung möglicher Opposition ist ein Merkmal autoritärer Regimes.
Vor diesem Hintergrund erhalten die bereits eingeführten oder geplanten neuen Polizeigesetze einen zusätzlichen repressiven Charakter. In Kombination mit dem „Gefährdungsbegriff“, der weitreichende polizeiliche Maßnahmen bereits erlaubt, ohne dass eine Ermittlung wegen strafbarer Handlungen vorliegt, ist die durch das Urteil gegen Latife erfolgte Ausweitung der Paragraphen 129 a+b ein Schritt in die vollständige Kontrolle und Einschüchterung. Erste, bereits erhebliche Maßnahmen der Überwachung von „Gefährdern“ können dadurch zukünftig zunächst durch die Polizei angeordnet und danach von Staatsanwaltschaften in konkrete „Terrorismusermittlungen“ überführt werden, in deren Wucht auch das gesamte soziale Umfeld von Betroffenen einbezogen ist: Telefonische und elektronische Überwachung und Bespitzelung inklusive.
Informiert euch über laufende Verfahren!
Durchbrecht die Stigmatisierung der Angeklagten in „Terrorismusprozessen“!
Das auf der Konstruktion eines real nicht existierenden Vereins beruhende Verbot von „linksunten.indymedia“, oder auch die immer mal wieder zu hörenden Forderungen, die „Antifa“ zur terroristischen Vereinigung zu machen, zeigen, dass der Wille, radikale linke Strukturen zu kriminalisieren, mit der Verfolgung migrantischer Organisationen nicht endet. Die in den Verfahren gegen angebliche „PKK“-Mitglieder, gegen die „TKP/ML“-Aktivist*innen oder gegen in migrantischen Vereinen aktive Menschen jetzt geschaffenen neuen juristischen Voraussetzungen zur Verfolgung bedrohen jeden Protest und Widerstand. Verurteilt wurde Latife – gemeint sind wir alle!
Den Weg ins Freie organisieren! Alle müssen raus!
Solidarität mit Latife! Wir lassen sie nicht alleine!
Kommt am Donnerstag, den 5.7. um 19:30 Uhr ins ADA zur Soli- und Info-Veranstaltung!
Fahrt mit uns am Samstag, den 7.7. zur Demo gegen das Polizeigesetz nach Düsseldorf!
Gefangene brauchen den Kontakt nach draußen. Sie haben kein Telefon oder Internet und sind deshalb auf die gute alte Post angewiesen. Schreibt Latife!
Latife Cenan-Adigüzel c/o JVA Willich
Gartenstraße 1, 47877 Willich