Bericht zur Info-Veranstaltung am 14.7.2015
Anti-Repressionarbeit ist immer ein eher undankbares Tätigkeitsfeld. Erfahrungsgemäß halten sich selbst viele Linke lieber davon fern, aus antizipierter Frustration oder auch aus der Furcht heraus, möglicherweise selbst in den Fokus der Ermittler zu geraten, wenn sie sich zu weit in die Nähe einer «wegen Terrorismus» angeklagten Person begeben. Dass sich das Café Stil Bruch am Veranstaltungsabend mit ca. dreißig Leuten recht gut füllte, war daher in gewisser Weise eine positive Überraschung. Was auch daran liegen dürfte, dass Latife auf dem Ölberg (und insgesamt in Wuppertal) einfach eine beliebte und bekannte Person ist. Für ihre Freundinnen und Freunde verbieten sich die einfachen Selbstschutzmechanismen, mit denen staatliche Repression sonst immer gerne als ein Problem «der anderen» konstruiert wird, ohnehin.
§§129: Paragraphen zur Einschüchterung
Die Veranstaltung begann mit einer Einführung zum § 129, der in Deutschland bereits 1871 eingeführt wurde und schon damals – neben den Sozialistengesetzen – eine scharfe Waffe im Klassenkampf von oben war. Der Paragraph wurde während des Kalten Krieges im Zuge des KPD-Verbots und später im «Deutschen Herbst» als Reaktion auf die militanten Aktionen der Stadtguerilla weiter verschärft. Das in den Siebzigern eingeführte Sondergesetz, das sich hinter dem kleinen «a» des §129 a verbirgt, führte den nirgendwo genau definierten Begriff «Terrorismus» in das Strafgesetz ein.
Eine Grundlage für oft willkürliche Ermittlungen, deren Rahmen bewusst uferlos gefasst ist, und vielfach der Einschüchterung und Ausforschung dient: So ist es der Polizei im Rahmen einer einer laufenden 129er-Ermittlung u.a. erlaubt, Telefon- bzw. E-Mail-Überwachungen und Hausdurchsuchungen durchzuführen oder auch Einblick in Kontobewegungen vorzunehmen. Ebenso finden monatelange Personen- und Wohnungsobervationen statt und Peilsender werden an PKWs angebracht. Dass diese Maßnahmen ganz konkret angewendet werden, wurde im Laufe der Veranstaltung von Latife und ihrem RA Roland Meister bestätigt, als sie von den Überwachungen gegen Latife vor ihrer Festnahme 2013 berichteten. Dabei wurde monatelang jeder ihrer Schritte dokumentiert, zahllose Freunde und Freundinnen wurden gemeinsam mit ihr telefonisch überwacht.
Grundlage für diese Ermittlungen gegen Latife war ein weiteres Sondergesetz des StGB, das als § 129 b bekannt ist. Es wurde nach offizieller Lesart im Gefolge der Anschläge von 9/11 geschaffen – Pläne dazu gab es jedoch schon seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Es erweiterte die Verfolgung Verdächtiger auch auf eine behauptete Mitgliedschaft in (oder Unterstützung von) als „terroristisch“ definierten Organisationen im Ausland. Eine Tätigkeit der benannten Gruppen in Deutschland war mit Einführung des «129 b» keine Veraussetzung mehr für weitreichende Ermittlungen und Anklagen.
Mehrjährige Haftstrafen für politische Arbeit
Welche Gruppen von der «Terrorismus»-Definition erfasst werden, bestimmt eine «Terrorliste» der EU und der USA. Wie politisch interessengeleitet und fragwürdig die Einstufung von Organisationen als «terroristisch» durch den EU-Ministerrat ist, wird z.B. an der Tatsache deutlich, dass das faschistische Bataillon Asow in der Ukraine nicht auf der Liste auftaucht, die gegen die IS-Milizen kämpfende kurdische PKK aber immer noch genannt wird. Das führt bis heute zu Verfahren gegen hier lebende Kurd*innen die oft genug auch mit mehrjährigen Haftstrafen enden.
Dasselbe «Schicksal» ereilt in der Regel Angeklagte, denen eine Mitgliedschaft in der türkischen DHKP-C, bzw. deren Unterstützung vorgeworfen wird. Die Beweisführung für eine Mitgliedschaft bleibt fast immer diffus und selbstreferentiell. Sehr häufig werden vorangegangene Urteile aus anderen Verfahren als «Beweis» eingebracht, oft wird auf Aussagen von in der Türkei Gefolterten bzw. auf fragwürdige Geheimdiensterkenntnisse zurückgegriffen. Dazu passte eine kurze Filmdoku zum ersten 129 b Prozess gegen linke Revolutionäre, der 2009 gegen angebliche DHKP-C-Unterstützer in Stuttgart geführt wurde. Der atmosphärisch dichte Film zeigte eindrücklich, wie bedrückend sich ein solcher «Terrorismus»-Prozess auch im Leben der Freundinnen und Verwandten der Beschuldigten niederschlägt, vor allem, weil die Angeklagten meistens für eine quälend lange Dauer vor und während des Prozesses eingesperrt bleiben – oft genug unter den Bedingungen der Isolation. Die Veranstalter*innen sandten daher auch einen solidarischen Gruß an jene vier Angklagten, die 2013 gemeinsam mit Latife verhaftet wurden und seither im Stammheimer Knast auf ihr Urteil warten müssen, das in Stuttgart für Ende Juli erwartet wird.
Latife, die sich glücklicherweise auf freiem Fuß befindet, berichtete über den Ausgang jenes Stuttgarter «Pilot-Verfahrens», dessen Urteil in späteren Prozessen immer wieder als «Beweismittel» diente – quasi als sich selbst bestätigendes «Perpetuum Mobile»: Die fünf Angeklagten erhielten Haftstrafen zwischen 3 Jahren bis zu 5 Jahren und vier Monaten. Auch damals stützte sich die Anklagebehörde wie im Verfahren gegen Latife, auf die Konstruktion einer „Rückfrontorganisationen im Ausland“, die der DHKP-C finanziell und ideologisch zuarbeitet. Verurteilt wurden die Angeklagten in Stuttgart wohlgemerkt nicht für die Planung von Anschlägen, sondern weil sie etwa Geld gesammelt, Veranstaltungen organisiert und Kontakt zu Genoss*innen gehalten hatten.
Vom Zuschauerraum auf die Anklagebank
Latife erzählte bei der folgenden Gesprächsrunde noch einmal ausführlich von ihrem eigenen persönlichen und politischen Hintergrund. Für sie war die Knast- und Anti-Repressionsarbeit sehr prägend und bedeutsam, mit der sie als Angehörige eines linken Gefangenen noch in der Türkei lebend begonnen hatte und die sie später auch in Deutschland bis zu ihrer eigenen Verhaftung im Juni 2013 fortgesetzt hatte. An vielen Prozesstagen hatte sie in demselben OLG-Saal im Zuschauerraum gesessen, in dem nun das Verfahren gegen sie selbst stattfindet – viele Richter*innen, Staatsanwält*innen und Justizangestellte kennen sie seit Jahren. Sie hat zahllose Kundgebungen vor Knästen organisiert, Briefe an Gefangene geschrieben und Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Und sie berichtete gerührt davon, wie viel ihr selbst es in den Wochen ihrer Haftzeit – z.T. in Isolationshaft sitzend – bedeutet hat, einen ersten Brief von einem Freund in den Händen zu halten, oder zu erfahren, dass ihre Freund*innen eine Kundgebung organisierten.
Für sie als Antifaschistin, Antirassistin und Revolutionärin sei es auch immer wichtig gewesen, sich dort, wo sie lebt – also in Deutschland und in Wuppertal – gegen die schlechten und rassistischen Zustände zu wehren. Für sie war es z.B. selbstverständlich, zusammen mit deutschen und migrantischen Antifaschist*innen gegen Nazis zu protestieren. So organisierte sie z.B. am 29.5. 2013 – vier Wochen vor ihrer Verhaftung – die Solinger Demonstration zum Gedenken an den Anschlag auf das Haus der Familie Genç mit, und beteiligte sich an Wuppertaler Protesten gegen Nazi-Aufmärsche. Außerdem organisierte sie u.a. zusammen mit der Alevitischen Gemeinde im Sommer 2013 mehrere Gezi-Solidaritätsdemos in Wuppertal und der Umgebung. All diese – ganz normalen und öffentlichen – politischen Aktivitäten finden sich nun in der Anklage der Staatsanwaltschaft wieder.
Latife hat aber auch eine ganze Menge gemacht, was öffentlich weniger bekannt war. Zum Beispiel hat sie sich, nachdem sie 2009 zur Vorsitzenden des Vereins Anatolische Föderation gewählt wurde, mit anderen migrantischen Frauen gegen die rassistische Diskriminierung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft und gegen die Unterdrückung als Frauen durch ihre Männer organisiert. Sie unterstützte migrantische Familien, Frauen und Jugendliche, organisierte Bildungsarbeit und investierte viel Zeit und Energie in kulturelle Aktivitäten. Diese Aufzählung an Aktivitäten müsste eigentlich bereits ausreichen, um die Unterstellung der Generalstaatsanwaltschaft, die Anatolische Föderation sei nichts anderes als eine getarnte Umfeldorganisation der DHKP-C, zu dementieren.
Der NSU-Komplex als Katalysator der Anklage?
Latife hob allerdings noch eine weitere, nicht ganz unwichtige Aktivität der Föderation hervor: Frühzeitig hatte diese nämlich lautstark öffentlich gemacht, was inzwischen als offenes Geheimnis gilt: die Verwicklung staatlicher Behörden, und insbesondere des Verfassungsschutzes, in die Mordserie des NSU. Und das tat der Verein bereits vor der Selbstenttarnung des NSU im November 2011, nachdem die Anatolische Föderation Kontakt zur Familie eines der Mordopfer erhalten hatte. Im Januar 2012 startete die Anatolische Föderation eine Kampagne zu der Mordserie. Sie beteiligte sich an der Bündnisdemo «Verfassungsschutz auflösen» im Dezember des gleichen Jahres in Köln und war zum Prozessauftakt gegen Zschäpe, Wohlleben und Co. mit einer Delegation in München. Es ist sicher nicht an den Haaren herbeigezogen, dass sich manche Person in mancher Sicherheitsbehörde dadurch auf die Füße getreten fühlte. Nun steht also die Vorsitzende eines migrantischen Vereins, der schon sehr früh – lange bevor die meisten Medien aufmerksam wurden – die Komplizenschaft des deutschen Staates mit den Nazi-Terroristen benannte, selber wegen Terrorismusvorwürfen vor Gericht.
Im Anschluss an Latifes Schilderung erläuterte Rechtsanwalt Roland Meister seine Einschätzung des Prozesses. Er kann auf reichliche Erfahrung mit § 129-Verfahren zurückgreifen; Meister hat zahlreiche Verfahren gegen türkische und kurdische Linke als Anwalt begleitet. Er hob nochmals hervor, dass der Paragraph systematisch eingesetzt wird nicht um strafbare Handlungen zu verfolgen, sondern dazu, Gesinnungen und politische Haltungen zu bestrafen. Er merkte an, dass die Staatsanwaltschaft im Prozess gegen Latife aber noch über das übliche Anklagemuster hinausgeht. Denn die Anklage nimmt hier tatsächlich keinerlei Bezug auf irgendeine Verbindung Latifes zur Türkei; sie klagt ausschließlich vollkommen «normale» politische Aktivitäten in Deutschland an, wie die Teilnahme an Veranstaltungen oder die Anmeldung von Demonstrationen.
Abschließend machte Roland Meister noch einmal deutlich, wie deutsche Innenpolitiker und Sicherheitsbehörden in mancher Hinsicht auch über das hinausgehen, was die oft als faschistisch gescholtenen türkischen Behörden bei ihrer Repressionsarbeit tun: So wurde bspw. kürzlich in der Türkei ein Konzert der linksradikalen Musikgruppe Grup Yorum zwar zwischenzeitlich verboten, ein türkisches Gericht kassierte jedoch letzten Endes dieses Verbot. Das Konzert konnte wie geplant vor tausenden Zuhörer*innen stattfinden. In Deutschland wird der Verkauf von Eintrittskarten zu einem Grup Yorum-Konzert hingegen als Beweismittel für die Unterstützung einer terroristischen Verienigung in die laufenden 129b-Verfahren eingebracht. Und die in nach wie vor frei in der Türkei erscheinende Wochenzeitung «Yürüyüş», die ebenfalls als DHKP/C-nah gilt, weil sie erst kürzlich die staatlichen Aussagen zur tödlich verlaufenden Geiselnahme eines Staatsanwaltes anzweifelte, wurde im Mai durch das Bundesinnenministerium verboten.
Weitere Unterstützung erwünscht!
Der Auftritt Latifes bei der Veranstaltung hinterließ bei vielen der Teilnehmenden einen tiefen Eindruck: Entschlossen und gleichzeitig authentisch schilderte sie, wie die Ermittlungen und der Prozess Einfluss auf ihr Leben nehmen und wie sie versucht, sich davon nicht brechen zu lassen. Ihr weiterer Weg durch das Verfahren verdient jede Unterstützung, die wir geben können. Leider fand sich trotz zahlreicher Unterstützungsbekundungen – (die Spendenkasse war am Ende gut gefüllt; vielen Dank dafür!) – bislang noch niemand bereit, sich konkret an der weiteren Prozessbeobachtung in Düsseldorf zu beteiligen. Wer Interesse hat, darf sich gerne an uns – Freundinnen und Freunde von Latife – wenden. Allen, die erstmals zu einem solchen Verfahren wollen, bieten wir an, beim ersten Mal gemeinsam nach Düsseldorf zu fahren. (Kontakt)
Die nächsten Prozesstermine sind am Montag, den 20.7., Donnerstag, den 23.7. und am Donnerstag, den 30.7.2015 am OLG in Düsseldorf (Kapellweg 36).