Tingelnde BKA-Zeug*innen

Donnerstag, 06.08.2015:
Siebter Tag im Prozess gegen Latife

Dieser letzte Prozesstag vor einer dreiwöchigen Verfahrenspause versprach noch einmal spannend zu werden. Denn es sollte zum ersten mal eine Zeugenbefragung stattfinden; die BKA-Beamtin Nicole S. war geladen. Sie ist beim Bundeskriminalamt in Meckenheim zuständig für Ermittlungen zu Finanzierung und Finanzflüssen der DHKP-C und laut eigener Aussage zu anderen „bedeutungsvollen Dingen“. Ihre „Erkenntnisse“ fließen in die sog. „Strukturakte“ ein, in der das Wissen der Ermittlungsbehörden über die DHKP-C und ihre angeblichen Tarnorganisationen dokumentiert und fortlaufend fortgeschrieben wird. Diese -zigtausend Seiten starke Strukturakte ist Teil der Anklageschrift gegen Latife.

Datensätze und vernichtete Beweismittel

Zunächst gab Nicole S. einen interessanten Überblick über ihre Ermittlungen: Vieles aus ihren „Erkenntnissen“ über die Struktur der DHKP-C in Deutschland und Europa fuße auf einem Rechtshilfeersuchen, das Italien 2004 an die Niederlande richtete, woraufhin u.a. in den Niederlanden Durchsuchungen stattfanden. Die Daten, die im Pressebüro Özgürlük sichergestellt worden waren, wurden dem BKA durch die niederländischen Behörden im Jahr 2005 zur Verfügung gestellt. Die vielen Tausend übermittelten Dateien seien mit Hilfe von Dolmetscher*innen gesichtet worden, und ein als relevant eingestufter Teil davon habe dann Einzug in das „Strukturverfahren“ gefunden. Darunter Adresslisten, Lebensläufe und Tätigkeitsberichte, Schulungsunterlagen, Pressemitteilungen und mehr. Etwas fassungslos erfuhr das Publikum, dass auf den Datenträgern angeblich auch Korrespondenz von DHKP-C Funktionären in der Türkei mit den „Europaverantwortlichen“ der Organisation gefunden worden sei, in denen es um misslungene Anschläge, die Zusammensetzung von Sprengsätzen und auch Zündvorrichtungen ging.

Auf Nachfrage von Rechtsanwalt Roland Meister stellte sich dann heraus, dass es anscheinend nie einen Abgleich der ursprünglich auf den Festplatten der Computer im Pressebüro gefundenen Originaldateien mit den aus den Niederlanden übermittelten Daten gab. Es ist dem BKA also unbekannt, ob die entsprechenden Daten auch tatsächlich von den sichergestellten Datenträgern stammen; es heißt auch, die Original-Festplatten seien inzwischen vernichtet worden. Ob und wieso das gemacht wurde, weiß Nicole S. nicht.

Im Folgenden ging es dann konkret um die Finanzströme innerhalb der DHKP-C und Festlegungen von finanziellen Beiträgen der „Rückfront“. Gemeint sind die in Gebiete eingeteilten „Rückfront-Organisationen“, zu denen die Anatolische Föderation gerechnet wird. Wiederholt bezog sich Nicole S. auf einen angeblichen Parteibeschluss der DHKP-C aus dem Jahr 2002, dass die Stärke einer Organisation, die sich im Krieg befinde, in Relation zur Anzahl ihrer Kader, ihrer Waffen und ihrer Finanzmittel stehe. Die Gebiete hätten darum die Aufgabe gehabt, bei Anhängern und Sympathisantinnen bestimmte Geldsummen über Spenden einzuwerben; auch Mittel für laufende Kosten für Mieten, Kampagnen usw. seien durch Spenden zusammengekommen; über diese seien ständig Einnahme-Ausgabe-Aufstellungen geführt und an die Verantwortlichen übermittelt worden.

Verwertungsverbot für erfolterte Aussagen

Auf die Anmerkung des Rechtsanwalts, dass Finanzmittelbeschaffung doch bei jeder Partei etwas völlig normales wäre, wie u.a. beim Spendenskandal der CDU zu besichtigen gewesen sei, und seiner Frage, aus welchem Grund denn das BKA sich damit so eingehend befasse, antwortete die Zeugin, dies gehe zurück auf den Parteibeschluss der DHKP-C „zur Ausweitung des Krieges“. Den Einwand des Anwalts, dass es ja auch andere Ziele gebe, für die Geld gebraucht wird, wie bspw. gewerkschaftliche Aktivitäten oder die Unterstützung der Hinterbliebenen der Opfer des Bergwerkunglücks in Soma, und ob das BKA sich auch damit befasse, brachte dann den Vorsitzenden Richter dazu, mit der StPO gegen den Anwalt zu drohen und Meister das Wort zu entziehen – die Zeugin könne dazu doch nichts sagen; ihre Einschätzung der Ermittlungen sei nicht gefagt.

So ist es wohl: Die Zeugin arbeitet zwar inmitten einer hochpolitischen Gemengelage, im Spannungsfeld von Geheimdiensten, Außen-, Innen-, und Rechtspolitik, von militanten Organisationen, sozialen Kämpfen, Migrationspolitik und Rassismus. Aber sie muss wohl davor geschützt werden, Stellung zu politischen Fragen zu nehmen, da sie doch nur eine Beamtin ist, die „ihren Job macht“ und „lediglich Daten auswertet“. So sieht es die StPO vor. Die Frage blieb unbeantwortet.

Immerhin: Als der Anwalt vor der anschließenden Auflistung der (angeblichen) Anschläge der DHKP-C in der Türkei darauf bestand, dass Erkenntnisse, die aus Folterverhören stammen nach deutschem Recht einem Verwertungsverbot unterliegen, wies Richter Schreiber den Einwand zwar zurück – um später im Hinblick auf das Gesamtverfahren jedoch Stellung dazu zu nehmen: Man sei sich absolut darüber klar, dass solche Vernehmungsniederschriften nicht als Inhalt eingeführt und bewertet werden können, auch nicht mittelbar, zumindest solange die Zeugin bei Vernehmungen nicht persönlich dabei gewesen sei. Der Rechtsanwalt könne es sich also sparen, nun jedes Mal Widerspruch gegen die Verwertung als Beweismittel einzulegen.

Für das BKA ist Berkin Elvan ein verbindendes Indiz

Aufgelistet wurden dann zahlreiche Bombenanschläge, die der DHKP-C zugerechnet werden. Angefangen beim Anschlag in Sisli/Istanbul auf die AKP-Parteizentrale, der laut Erklärung (die dazugehörigen Erklärungen der DHKP-C sind jeweils durchnummeriert) u.a. mit der Isolationsfolter und der Erstürmung der Gefängnisse am 19. Dezember 2000 begründet wurde. Bei der Stürmung der Knäste durch türkische Sicherheitskräfte wurden vor fünfzehn Jahren dreissig, sich im Hungerstreik gegen die Isolation in den damals neuen Typ-F-Zellen befindende, politische Gefangene umgebracht.

Es folgte die Schilderung weiterer Aktionen, vor allem gegen Polizeiwachen, die der DHKP-C zugerechnet werden. Seit 2013 habe es zudem mehrere Anschläge gegeben mit Bezugnahme auf den Tod des 15-jährigen Berkin Elvan, der während des Gezi-Aufstands als Unbeteiligter von einem Polizisten angeschossen wurde und nach monatelangem Koma im März 2014 verstarb. Zuletzt gab es in diesem Jahr eine tödlich verlaufende Geiselnahme des zuständingen Staatsanwalts mit der Forderung nach Nennung der an der Tötung Berkin Elvans beteiligten Polizisten, zu der sich die DHKP-C bekannte.

Auch die Anatolische Föderation habe sich mehrfach auf den Tod des Jungen bezogen, was ein Indiz für die behauptete Deckungsgleichheit des Vereins mit der DHKP-C sein soll. Die Prozess-Öffentlichkeit erinnerte sich jedoch daran, dass so ziemlich alle die an den Gezi-Protesten beteiligt waren, auf die Tötung Berkin Elvans reagierten – selbst in Wuppertal kam es nach seinem Tod zu einer Demonstration, an der mehrere hundert Menschen teilnahmen – und das waren zweifelsohne nicht alles Anhänger*innen der DHKP-C. Doch zum Prinzip der Konstruktion von Wirklichkeit durch staatliche Stellen war im Prozessverlauf ja schon einiges zu erfahren…

„Tiefer Staat“? Für Nicole S. kein Thema

Als Quelle für die Autorenschaft der DHKP-C an den Anschlägen nannte die BKA-Zeugin entweder die GSD („Generalsicherheitsdirektion“) in Ankara, oder die Homepage Halkın Sesi, auf der die Erklärungen der DHKP-C veröffentlicht worden seien. Auf die Nachfrage Roland Meisters nach der nachweisbaren Authentizität der DHKP-C-Erklärungen stellte sich heraus, dass Nicole S. jedoch nicht sagen kann, wer tatsächlicher Betreiber der Homepage Halkin Sesi ist. Als der Anwalt nachhakte, insistierte sie mehrfach, dass die DHKP-C schließlich selber sage, sie würde keinen Anschlag, für den sie verantwortlich sei, verschweigen, sich aber auch zu keinem bekennen, den sie nicht durchgeführt habe. Das BKA hat offenbar ein großes Vertrauen in die von ihr beschatteten „Terrororganisationen“.

Diese Haltung ist auch deshalb ein Politikum, weil im Rahmen der sog. Ergenekon-Verfahren in der Türkei der Vorwurf laut wurde, die türkische Polizei selbst sei für einige der Anschläge verantwortlich, die der DHKP-C zugeschrieben werden. Ob diese Vorwürfe beim BKA problematisiert worden seien, wollte Rechtsanwalt Meister wissen. Nicole S. wich aus und gab an, sich mit Ergenekon nicht befasst zu haben. Richter Schreiber kam ihr an dieser Stelle zu Hilfe und beanstandete die Frage des Anwalts als „zu unkonkret“, er habe nicht ausgeführt, ob es bei diesen Vorwürfen um die von Nicole S. erwähneten Anschläge ginge. Meister kündigte seinerseits daraufhin Konkreteres für die kommenden Verhandlungstage an. Die Zeugin kam letztlich um eine Beantwortung der Frage nach der Einschätzung des BKA hinsichtlich des sog. „tiefen Staates“ herum.

Spannend wurde es bei den nach der Mittagspause von RA Meister gestellten Fragen, die sich auf BKA-Erkenntnisse aus der V-Mann-Tätigkeit von Alaattin Ateş bezogen. Ateş war im Jahr 2002 vom türkischen Geheimdienst MIT und auch vom Bundesnachrichtendienst (BND) angeworben worden. Er erhielt über die Jahre laut Presseberichten hohe Summen vom deutschen Staat für seine Tätigkeit für alle Seiten: Bis kurz vor seiner Verhaftung im Jahr 2010 war Ateş angeblich ein wichtiger DHKP-C-Kader in Deutschland. 2011 wurde Alaattin Ateş auch nach § 129b verurteilt, er kam aber äußerst glimpflich davon: Es blieb bei einer Bewährungsstrafe, seine Tätigkeit für den BND wurde strafmildernd angerechnet.

„Dazu habe ich keine Aussagegenehmigung“

Doch die Befragung der Zeugin hatte dann etwas vom alljährlichen „Dinner for One“: Die Zuschauer*innen wissen genau was kommt – und müssen doch jedes mal wieder lachen, wenn Butler James über den Leopardenkopf stolpert. Auch den Beobachter*innen des Prozesses erging es so, als die BKA-Beamtin beinahe bei jeder Frage des Rechtsanwalts monoton antwortete: „Dazu habe ich keine Aussagegenehmigung“.

So ließ Nicole S. Meisters Nachfragen zur Bedeutung des Doppelagenten in den Reihen der DHKP-C für das Strukturverfahren unbeantwortet. Sie berief sich sowohl für alle den Fall Ateş betreffenden Punkte, als auch auch bei einer Frage des Anwalts, die sich auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage Ulla Jelpkes (MdB die LINKE) bezog, auf ihre fehlende Aussagegenehmigung. Demnach kommt es regelmäßig zum Austausch zwischen der mit der DHKP-C befassten BKA-Abteilung und dem türkischem Geheimdienst – u.a. fand auch drei Wochen vor Latifes Verhaftung, auf dem Höhepunkt des Gezi-Aufstandes – ein solches Treffen statt. Meister wollte von Nicole S. wissen, ob sie auch persönlich an solchen Treffen teilgenommen habe.

Bei anderen Fragen zog sich die BKA-Beamtin auf politisches Desinteresse oder auf Unwissen zurück. Doch es war wenig glaubwürdig, dass sich eine leitende Ermittlerin weder mit politischen Zusammenhängen rund um ihr Objekt der Ermittlungen, noch mit anderen Veröffentlichungen zu „ihrem“ Thema auseinandersetzt. So kann Nicole S. nicht entgangen sein, dass das Bekenntnisvideo Nr.444 zur Geiselnahme des Staatsanwaltes eine virale Verbreitung im Internet fand, die der türkische Staat durch Zensurmaßnahmen zu verhindern suchte. Derzeit läuft beispielsweise in der Türkei ein Verfahren gegen 18 Journalist*innen in dieser Sache. Gleichwohl befand Nicole S. wiederholt, dass die Veröffentlichung des Videos auf einer Internetseite deren Nähe zur DHKP-C belege. Ebenso gab sie an, über die Legalität der im Mai vom Bundesinnenminister verbotenen Zeitung «Yürürüs» in der Türkei und anderen Ländern nicht Bescheid zu wissen.

Tingeltour wird am 27.8. fortgesetzt

Als Nicole S. durch die anwaltliche Befragung zunehmend in die Enge geriet und die Heiterkeit im Gerichtssaal angesichts ihres suboptimalen Auftritts unüberhörbar wurde, kam ihr Richter Schreiber erneut zu Hilfe. Er fauchte die Prozess-Öffentlichkeit an und drohte mit Ordnungsgeldern und «Schlimmerem», wenn er noch einmal ein Lachen oder sonstige Kommentierungen höre. Das Spektakel am siebten Verhandlungstag endete mit dieser an die Zuschauer*innen gerichteten Drohung. Nach der Prozesspause geht es am 27. August mit Zeugenvernehmungen von weiteren BKA-Beamten weiter: Die Truppe des Bundeskriminalamts befindet sich mit den Aussagen zum «Strukturverfahren» auf soetwas wie einer «Deutschlandtour» – nach Stuttgart heißt der nächste Stopp nun Düsseldorf. Bei jedem Verfahren gegen vermeintliche Unterstützer*innen der DHKP-C tingeln die BKA-Beamt*innen durch die Gerichtssäle und spulen dabei ein immergleiches Programm ab – inklusive der Geschichte von den fehlenden Aussagegenehmigungen. Wir dürfen gespannt sein, ob die nächsten Auftritte dann besser einstudiert sind als der von Nicole S.