Schweigen aus Staatswohl

Im Vorfeld der Veranstaltung am 25. August in der CityKirche Wuppertal-Elberfeld und zu einem Zeitpunkt des Verfahrens, an dem die Verteidigung in die Offensive geht, haben wir ein vierseitiges Infoblatt veröffentlicht, mit dem die Öffentlichkeit in Wuppertal und darüberhinaus über die Situation unserer Freundin, Nachbarin und Kollegin informiert werden soll, die von den lokalen Medien fast unbemerkt am frühen Morgen des 26.6.2013 durch ein in ihre Wohnung stürmendes SEK in eine trübe Melange aus Außenpolitik, „Staatswohl“, Geheimdienstkooperation und Repression hineingestoßen wurde.

Nach und nach werden wir die Inhalte der Publikation auch auf dieser Seite veröffentlichen. Das Infoblatt kann als pdf-Datei komplett hier angesehen und heruntergeladen werden.

Politische Prozesse: Schweigen aus Staatswohl
(aus: Prozessinformation – Sommer 2016)

Über die Lage in der Türkei wird spätestens seit dem gescheiterten Putsch am 15. Juli und den Ereignissen danach viel geschrieben und diskutiert. Die Öffentlichkeit nimmt eine zunehmend kritische Haltung ein. Massenverhaftungen und Massenentlassungen werden kritisiert, Ausnahmezustand und Aufkündigung der Europäischen Menschenrechts-konvention werden besorgt kommentiert. Zuletzt bestätigte die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage gewunden, dass die Türkei eine „Aktionsplattform für militanten Islamismus“ ist. Eine offenere Antwort könne es „aus Gründen des Staatswohls“ nicht geben, bedauerte der Staatssekretär im Innenministerium allerdings.

Gleiches gilt wohl auch für die im Interesse der Türkei in der Bundesrepublik geführten politischen Prozesse, die kaum Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit finden. Erst im Juni begann in München eines der größten politischen Verfahren der Nachkriegsgeschichte, in dem zehn Angeklagte vor Gericht stehen. In dem „Pilotverfahren“ (Staatsanwaltschaft) werden sie der Mitgliedschaft in einer „ausländischen terrroristischen Vereinigung“ beschuldigt – der türkischenen TKP/ML, die auf keiner europäischen Terrorliste auftaucht. Gleichzeitig wird immer wieder in Deutschland lebenden Menschen der Prozess wegen angeblicher Mitgliedschaft in der kurdischen PKK gemacht. So aktuell in Hamburg, Celle, Stuttgart und Düsseldorf.

Dort wird seit einem Jahr auch gegen eine Wuppertalerin verhandelt, die seit Jahrzehnten in Deutschland lebt. Der zweifachen Mutter, die ein Geschäft in Elberfeld hat und als Betreuerin für alte Menschen arbeitet, soll Mitglied der militanten DHKP-C in der Türkei sein. In dem absurden Verfahren, das ausschließlich auf der Basis ihres Engagements in einem migrantischen Verein und ihrer legalen politischen Arbeit in der Bundesrepublik geführt wird, droht Latife Cenan-Adigüzel eine mehrjährige Haftstrafe. Doch auch wenn es „nur“ zu einer Bewährungsstrafe kommen sollte, sind die möglichen sechsstelligen Kosten des Prozesses existenzbedrohend.

Diese Verfahren nach § 129b, die alle auf fragwürdigen „Geheimdiensterkenntnissen“ und auf zum Teil in der Türkei erfolterten Aussagen beruhen, richten sich immer gegen migrantische Menschen, die eine kritische Haltung zur Regierung in der Türkei haben. Die gegen sie geführten Anklagen beruhen dabei auf ebenso willkürlichen Definitionen von „Terrorismus“, denen in der Türkei Rechtsanwälte, JournalistInnen und selbst Richter zum Opfer fallen.

Es zeigt sich ein doppeltes Gesicht der deutschen Politik: Während die willkürliche Definition von Terror in der Türkei als Hindernis für eine Visafreiheit bezeichnet werden, findet vor deutschen Gerichten aufgrund gleicher Definitionen eine Hexenjagd auf politsch aktive MigrantInnen statt. Diese Verfahren weiten die repressiven Möglichkeiten gegen politisch Aktive aus und unterhöhlen rechtsstaatliche Prinzipien. Sie bedrohen jede Initiative und oppositionelle Arbeit: Wie schnell sich neue repressive Möglichkeiten gegen alle und jeden richten können, ist derzeit in der Türkei schließlich gut zu beobachten.