Interview mit Latife

Zweiter Artikel aus unserer vierseitigen Dokumentation zum Prozess in Düsseldorf. Das Infoblatt kann als pdf-Datei komplett hier angesehen und heruntergeladen werden.

„Ich habe mir nicht vorstellen können, dass mir sowas passieren würde”
(aus: Prozessinformation – Sommer 2016)

Latife, das Verfahren gegen dich läuft nun seit mehr als einem Jahr. Was macht das mit dir, wie bestimmt der Prozess deinen Alltag?

Am Anfang war es für mich sehr stressig. Ich wusste nicht, wie ich das schaffen sollte. Ich wusste nur, ich muss mich verteidigen, aber die Mittel dafür kannte ich noch nicht. Inzwischen denke ich jedes Mal, wenn das Gericht neue „Beweismittel“ gegen mich einführt, wie lächerlich das eigentlich ist. Das Gericht macht sich lächerlich mit der Anklage gegen mich. Andererseits weiß ich ja, dass auch andere schon wegen lächerlichen Beweisen verurteilt worden sind…. Natürlich hat man das Verfahren immer im Hinterkopf, und es frisst auch viel Zeit und Kraft im Alltag. Mindestens zwei Tage die Woche bin ich nur mit dem Prozess beschäftigt, und nebenbei arbeite ich in unserem Kiosk und als Altenpflegerin. Es ist schon eine Belastung für die ganze Familie. Und es ist ein Hindernis auch für meine politische Arbeit, denn ich bin ja nur unter Auflagen auf freiem Fuß.
Vielleicht gehört so etwas aber einfach zum Leben, wenn man politisch arbeitet. Aber ich kann meine Augen ja nicht zumachen.

Hättest du denn vor deiner Verhaftung 2013 gedacht, dass du jemals für deine politische Tätigkeit vor Gericht stehen würdest?

Nein, habe ich nicht. Als Vorsitzende der Anatolischen Föderation habe ich völlig legale politische Arbeit für Migranten und Migrantinnen gemacht und mir nicht vorstellen können, dass mir so etwas passieren würde. Die Anatolische Föderation ist eine Selbstorganisation von Familien mit Migrationshintergrund. Ich habe viel Arbeit mit türkischen und kurdischen Frauen gemacht, damit die Frauen stärker werden und sich gegen Gewalt von Männern und gegen Rassismus organisieren; deshalb haben wir sehr viel Bildungsarbeit zur Unterdrückung der Frauen und zum Kampf der Frauen für Gleichberechtigung gemacht. Ein anderer wichtiger Teil war unsere Arbeit für migrantische Jugendliche. Viele unserer Jugendlichen kommen aus ärmeren Arbeiterfamilien und haben wegen fehlender Ausbildung und auch wegen Rassismus schlechte Chancen.

Wie reagiert dein Umfeld, bekommst du genug Unterstützung?

Ja. Solidarität ist schon da. Auch wenn nicht so viele Leute zu den Gerichtsterminen kommen, fühle ich mich nicht alleine. Einige Freunde und Freundinnen sind immer da, viele sind in Gedanken solidarisch bei mir. Viele verfolgen sehr genau was passiert, und fragen mich immer mal wieder. Letztens habe ich in der Initiative, die die Geflüchteten am Ölberg unterstützt, eine Frau getroffen. Ich kannte sie vorher gar nicht, aber wir kamen ins Gespräch, und als ich ihr meinen Namen sagte, meinte sie: „Ach, du bist also unsere Latife, gegen die der Prozess gerade läuft!“. Jetzt sind wir Freundinnen. Es gibt viel Solidarität in der Nachbarschaft.