Gemeinsame Pressemitteilung

Gemeinsame Pressemitteilung zum bevorstehenden 50. Verhandlungstag in Düsseldorf: Latife Cenan-Adigüzel droht zum Opfer deutscher Staatsraison zu werden!

Das „Terrorismusverfahren“ gegen unsere Genossin, Freundin, Nachbarin und Mandantin Latife Cenan-Adigüzel läuft nun seit Juni 2015. Am morgigen Donnerstag, den 15.12., findet vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf der mittlerweile 50. Verhandlungstag statt. Der Prozess soll offenbar nun zu einem schnellen Ende geführt werden. Dabei droht die zweifache Mutter aus Wuppertal zum Opfer deutscher Staatsraison zu werden.

Prozesse wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer „ausländischen terroristischen Vereinigung“ nach § 129b werden derzeit öffentlich vor allem dann wahrgenommen, wenn sie gegen vermeintliche Unterstützer des „Islamischen Staats“ geführt werden. Dabei werden immer wieder auch Anklagen gegen türkisch- und kurdischstämmige Linke eröffnet, die, wie Latife Cenan-Adigüzel, teilweise schon jahrzehntelang in der Bundesrepublik leben und sich hier politisch engagieren. Die Verfahren, die sich fast immer auf Ergebnisse der Kooperation deutscher und türkischer Geheimdienste und Sicherheitskräfte stützen, sind spätestens aufgrund der jüngsten Entwicklungen in der Türkei ein Skandal.

Wir fordern ein sofortiges Ende der § 129b Verfahren gegen türkische und kurdische Linke in Deutschland. Nicht nur wegen der unhaltbaren Kooperation mit dem türkischen Repressionsapparat. Sondern auch, weil speziell mit dem Prozess in Düsseldorf gegen unsere Freundin eine neue Qualität der Anklagen nach § 129 a/b durchgesetzt werden soll: Den Behörden würde künftig einen Freibrief für beliebige Anklagen gegen unliebsame migrantische Vereine, aber auch gegen linke deutsche Strukturen ausgestellt. Die mittlerweile weitgehend abgeschlossene Beweisaufnahme des Staatsschutzsenats hat in über anderthalb Jahren keine einzige konkrete strafbare Handlung unserer Freundin belegt – eine Verurteilung droht Latife lediglich aufgrund ihrer Tätigkeit als Vorsitzende der „Anatolischen Föderation“, eines legalen Vereines.

Gleichwohl soll der Prozess nun offenbar zu einem schnellen Ende gebracht werden. Der 5. Strafsenat des OLG hat bisher ausnahmslos alle Beweisanträge der Verteidigung, mit denen sowohl individuelle Vorwürfe gegen unsere Freundin entkräftet als auch die politischen Grundlagen des Prozesses hinterfragt werden sollten, zurückgewiesen.

Zur Begründung verweist er dabei zum einen auf seine Inkompetenz, wenn es um die beantragte Überprüfung der von Justizminister Maas erteilten Verfolgungsermächtigung geht; dem Senat stünde eine Meinung zu den außenpolitischen Gründen der Strafverfolgung nicht zu. Zum anderen beansprucht er wiederum eine ausreichende Kompetenz zur Beurteilung offener völkerrechtlicher Fragen – beispielsweise, wenn es darum geht, ein Gutachten eines Völkerrechtlers zu den § 129b-Verfahren einzuholen.

Auch Anträge zur Ladung von Zeuginnen und Zeugen, die zur tatsächlichen Arbeit des betroffenen Vereins „Anatolische Föderation“ oder zur tatsächlichen Verwendung von B12-Vitaminpräparaten aussagen sollten, wurden abgelehnt. Letztere sollten nach Auffassung des Senats für einen Hungerstreik politischer Gefangener in der Türkei bestimmt gewesen sein – ein solcher fand zum fraglichen Zeitpunkt jedoch gar nicht statt.

Ebenso abgelehnt wurden Anträge zur Einholung von Gutachten, die das Anklage-Konstrukt einer illegalen Intention und Arbeit des Vereins überprüfen sollten. Empörend ist vor allem die Weigerung, die Umstände zu überprüfen, die 2004 zur Beschlagnahme von Dateien führten, welche bis heute als Kernstück einer so genannten Strukturakte Beweismittel in allen Verfahren zur DHKP-C in Deutschland sind. Eine Überprüfung der damaligen Umstände würde nach Auffassung der Anwälte ein Verwertungsverbot begründen: Vieles deutet daraufhin, dass erfolterte Aussagen Ausgangspunkt der damaligen Abhör- und Beschlagnahmeaktionen waren, und dass notwendige forensische Standards im Umgang mit digitalen Beweismitteln damals nicht eingehalten wurden.

BeobachterInnen des Verfahrens mussten daher den Eindruck gewinnen, dass es jetzt vor allem um eine schnelle Erledigung des Prozesses gehen soll. Obwohl die dramatischen Entwicklungen in der Türkei auch die Arbeit der Verteidigung in einem deutschen Verfahren erschweren (immerhin geht es auch um die Ladung möglicher Entlastungszeugen aus der Türkei), erhöht der Senat den Druck und forderte am 17.11. eine Beschleunigung der Antragstellung. Dass das nach Wochen eines eher schleppenden Prozessverlaufs zeitgleich zum Türkeibesuch von Außenminister Steinmeier geschah, ist kaum ein Zufall. Dort versicherte er seinem Amtskollegen, dem „lieben Mevlüt“ Çavuşoğlu, dass „terroristische Aktivitäten (der PKK) nach dem Buchstaben des Gesetzes“ verfolgt würden, nachdem dieser behauptet hatte, in Deutschland liefen tausende Terroristen frei herum.

Wir befürchten, dass der Prozess in Düsseldorf alleine schon aus Gründen der Gesichtswahrung Berlins mit einem Schuldspruch enden soll. Denn gemeint waren natürlich auch jene Verfahren, die sich gegen in Deutschland lebende Menschen richten, denen die Mitgliedschaft in linken Organisationen wie der DHKP-C (oder im Münchner Prozess der TKPM/ML) vorgeworfen wird. Steinmeier meinte also auch Latife Cenan-Adigüzel, deren Verfolgung damit endgültig zu einem Fall deutscher Staatsraison geworden ist. Das stellt einen „Kniefall vor einem faschistischen Regime“ dar, wie es Rechtsanwalt Roland Meister ausdrückte. So ist auch die Haltung des Senats zu verstehen, eine Überprüfung der Verfahrensgrundlagen um jeden Preis zu vermeiden.

Eine über die deutsch-türkische Kooperation zunehmend besorgte Öffentlichkeit soll möglichst wenig zu den Anklagekonstruktionen erfahren, die an staatlicher Willkür den türkischen Terrorverfahren gegen Abgeordnete, Bürgermeisterinnen, Journalisten oder Anwältinnen in nichts nachstehen.

Die Taktik, ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit hier lebende Menschen der Staatsraison und fragwürdigen Flüchtlingsabkommen zu opfern, darf nicht aufgehen: Wir fordern alle MedienvertreterInnen und alle solidarischen Menschen auf, das Verfahren gegen Latife Cenan-Adigüzel und die anderen anhängigen § 129b-Prozesse gegen migrantische Strukturen zu verfolgen und darüber zu berichten, bevor die Anwendbarkeit der §§ 129a und b in bisher nicht gekannter Weise ausgedehnt wird. Die Zusammenarbeit Deutschlands mit dem türkischen Repressionsapparat muss sofort beendet werden!

Remscheid, Essen, Wuppertal, 14.12.2016

Yener Sözen, Rechtsanwalt
Roland Meister, Rechtsanwalt
Freunde und Freundinnen Latifes