Aufgetürmte Leichen

Freitag, 26.6. 2015:
Dritter Tag im Prozess gegen Latife

Das Verfahren am dritten Prozesstag vor dem OLG Düsseldorf wurde kurzfristig in den großen Saal 1 verlegt, weil einige Videoclips vorgeführt werden sollten, in Saal 2 jedoch die Technik streikte. So verloren sich die wenigen Zuschauer*innen und auch die Hauptakteure des Prozesses ein wenig in dem gewaltigen Raum, der ursprünglich offensichtlich für die Aburteilung ganzer Gruppen geschaffen worden ist.

Wenig überzeugende Zurückweisung

Bevor es zur auch in Saal 1 etwas holperigen Aufführung der Videoclips kam, erwartete die Zuscheuer*innen zunächst die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zum gemeinsamen Antrag der Verteidigung und Latifes vom Vortag das Verfahren einzustellen. Erwartungsgemäß war der Staatsanwalt anderer Ansicht als Rechtsanwalt Meister. Ohne auf die doch sehr ausführliche persönliche Begründung Latifes einzugehen, widmete sich die Staatsanwaltschaft nur einem Teil der formalen Begründung Roland Meisters, der beklagt hatte, dass in den Passagen der Anklageschrift zur DHKP-C die Vorgeschichte staatlicher Verbrechen in der Türkei als eine der Ursachen des „bewaffneten Widerstands“ oder – je nach Sichtweise – des „Terrors“ völlig unerwähnt geblieben war.

Die Staatsanwaltschaft konzentrierte sich in ihrer Stellungnahme nur auf den Teil der Ausführung von Latifes Verteidiger, bei dem es um „Legitimität“ bewaffneten Widerstands am Beispiel der kurdischen PKK ging. Hier sei es durch den BGH zu einem Grundsatzurteil gekommen, nachdem der Konflikt zwischen der kurdischen Guerillia und der türkischen Armee nicht als „völkerrechtlicher Krieg“ anzusehen sei. Die Türkei habe das Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den „Schutz der Opfer internationaler Konflikte“ nicht unterzeichnet, sodass eine Anerkennung des kurdischen Kampfes obsolet sei. Kurdistan sei auch kein Staat, sondern seit dem „Abkommen von Lausanne“ 1921 völkerrechtlicher Teil der Türkei. Ohne seine Ausführungen weiter in den Kontext der Antragszurückweisung einzuordnen, meinte der Staatsanwalt, dass dies als Begründung ausreiche.

Beim Antrag der Verteidigung war es allerdings nur am Rande um das Völkerrecht gegangen. Vielmehr ging es ihr grundsätzlich darum, dass in der Anklageschrift eine Motivationslage für den militanten Kampf völlig unerwähnt geblieben war, nämlich der Charakter der Türkei als Staat, der gestern wie heute seine Gegner*innen verfolgt, foltert und auch tötet. Die Verteidigung vertrat in ihrer Erwiderung erneut die Ansicht, dass eine Anklageschrift, die auf die Vorgeschichte einer Tat keinen Bezug nimmt, unzulässig sei. Hierfür verwies RA Meister auf das Beispiel einer jahrelang durch ihren Ehemann gequälten Frau, die sich zuletzt nicht anders zu helfen wisse, als ihren Peiniger zu töten. Auch in diesem Fall müsse die Anklage die Vorgeschichte beinhalten, ansonsten sei sie unzulässig. Das Beispiel verfing nicht richtig: Der Vorsitzende Richter fragte an dieser Stelle nach, wo denn Latife dabei einzuordnen sei, bestenfalls doch als „eine Freundin der betroffen Frau“. Ansonsten hatte er bereits am Vortag angemerkt, die fehlende Beurteilung der Türkei könne auch außerhalb der Anklageschrift im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung noch erfolgen. So oder so ist allerdings ohnehin nicht zu erwarten, dass es zu einer Einstellung des Verfahrens gegen Latife kommen wird. Zu klar ist der politische Wille des Anklägers und wohl auch des Gerichts, legales politisches Handeln in die Nähe eines Terrorverdachtes zu rücken.

Videoclips eines Laien-Chores

War schon dieses Vorspiel höchst seltsam, entwickelte sich der dritte Verhandlungstag mit der Vorführung der angekündigten Videoclips endgültig zur tragischen Skurrilität. Anscheinend mangels handfester Beweise verlegt sich der Staatsanwalt offensichtlich darauf, Indizien für eine direkte Verbindung des Vereins „Anatolischen Föderation“ zur türkischen DHKP-C vorzulegen. Ohne die Sequenzen in einen Kontext zur Anklage zu bringen, wurde ein offenbar mit einem Smartphone gefilmtes Video einer Veranstaltung vorgeführt, bei der die Anwesenden einem während einer bewaffneten Aktion in der Türkei verstorbenen DHKP-C-Aktivisten gedachten. Das geschah zwar mit einigem Pathos, das für hiesige Verhältnisse eher ungewohnt ist, jedoch ohne erkennbare strafbare Äußerungen oder gar Handlungen der Teilnehmenden.

Vor ziemlich schwer erkennbaren Bildern der bei dem Gedenken im Hintergund gezeigten laufenden Multmediapräsentation, mit der Auszüge aus einem Brief des DHKP-C-Aktivisten illustriert wurden, hielt ein Mann eine Ansprache und bedankte sich für die Teilnahme der Anwesenden. Welche sprachlichen Interpratationsscheiwerigkeiten im weiteren Prozessverlauf noch bevorstehen können, zeigte sich dann an einer Stelle, an der im Hintergrund ein Transparent zu sehen war, auf dem „Rechenschaft“ für einen durch den türkischen Staat getöteten Aktivisten gefordert wurde. Der Sprachsachverständige, der sich später korrigierte, übersetzte das Wort zunächst mit „Rache“. Solche Unterschiede können In einem Indizienprozess am Ende über Knast oder Freiheit entscheiden.

Ansonsten konnte während der meisten Zeit der kurzen Kinovorführung ein gemischter Chor beobachtet werden, der u.a. das „Lieblingsstück“ des verstorbenen Aktivisten sang. Auch hier wurde die Übersetzung des traditionellen Liebesliedes fast synchron mitgeliefert. Zuschauer*innen und Gericht erfuhren, dass sich eine „unglückliche Braut“ nicht davon abhalten lassen solle, vom „Berg ins Tal“ zu kommen, und dass selbst „unbezwingbare Festungen“ überwunden werden können. Nach einem darauf folgenden Kampflied der türkischen Linken endete der Gesangsvortrag des Chores und damit auch schon die Videovorführung der Staatsanwaltschaft und die ganze Verhandlung an diesem Freitag. Wozu der Aufwand eines eigenen Prozesstages nötig war, erfuhren die dafür Angereisten wie gesagt nicht.

Zu verstehen ist das Ganze nur, wenn es der Staatsanwaltschaft darum geht, etwaige Sympathien für eine in der Türkei aktive militante Gruppe mittels Indizien zu beweisen. Doch Sympathien und auch ein Gedenken an Mitglieder dieser Gruppe sind solange nicht verboten, solange sie keine Werbung, also Propaganda für diese Gruppierungen darstellen oder strafbare Symbole gezeigt werden – etwas, das bei der gezeigten Veranstaltung nicht der Fall war. Und ein Staat, der zu jedem 20.April Dutzende von privaten und halböffentlichen Geburtstagsfeiern für den „Führer“ erlebt und zulässt, sollte sich in solchen Angelegenheiten nicht zum moralischen Hüter oder gar zum Ankläger und Richter aufspielen. Doch es geht der Generalstaatswaltschaft genau darum: Vermeintliche Gesinnung zu bestrafen und eine wichtige Akteurin migrantischer und antifaschistischer Politik in Deutschland zu kriminalisieren.

Offensichtliche Verfahrensstrategie der Staatsanwaltschaft

Ihre Verfahrensstrategie erscheint offensichtlich. Die Indizien, mit denen Latife angebliche Sympathien für eine in der Türkei aktive und in Deutschland als „Terrorgruppe“ eingestufte Partei nachgewiesen werden sollen, sollen eigentlich nur die Voraussetzung dafür schaffen, weniger über ihre tatsächliche Arbeit in Deutschland und mehr über die Aktionen der DHKP-C zu reden. Mit dieser Strategie scheint der Staatsanwalt Leichen auftürmen zu wollen, hinter denen konkrete Vorwürfe der Anklage, wie beispielsweise die (Mit-) Organisation der antifaschistischen Demo zum 20.Jahrestag des Solinger Brandanschlags verschwinden sollen. Der massive Angriff der Staatsanwaltschaft auf die Meinungsfreiheit soll durch eine moralische Entrüstung über Vorgänge in der Türkei überdeckt werden, die mit der Anklage in keinerlei Verbindung stehen. Das klappte schon zum Auftakt des Verfahrens ja ganz gut, als der WDR in seinem Bericht nicht etwa auf die konkreten Vorwürfe wie die Demoteilnahmen einging, sondern lieber Archivbilder von in der Türkei gefundenen schweren Waffen in seinen Beitrag hineinschnitt.

Auch Beobachter*innen des Prozesses und die Verteidigungsstrategie müssen dabei teils auf einem schmalen Grat balancieren. Lassen sie sich auf Diskussionen zu Legitimität und Motiven der DHKP-C zu sehr ein, besteht die Gefahr, das unwürdige Spiel der Generalstaatsanwaltschaft mitzuspielen. Während die einen Latife verurteilen wollen, indem sie Taten ganz anderer anklagen, gibt es andererseits den nachvollziehbaren Impuls, den Prozess um die politische Betätigung Latifes in Wuppertal zu einem Tribunal über eine mörderische Türkei zu machen. Das aber kann den Skandal der Anklage gegen Latife auch unkenntlich machen. Denn das Verfahren ist der erneute Versuch des deutschen Staates eine vorgebliche politische Meinung oder Ansicht zu kriminalisieren. Ein Versuch, der immer wieder vom deutschen Staat unternommen wurde – erinnert sei an die Verfolgung jedweder „klammheimlichen Freude“ in den Siebzigern. Die Älteren werden sich daran noch erinnern.

Angesichts der von der Staatsanwaltschaft gewollten Dramatik und Verurteilung eines militanten Kampfes in der Türkei kann das Beharren auf „Meinungsfreiheit“ zwar als „kleinbürgerliche Sache“ wahrgenommen werden, doch ist sie dennoch die Basis für die meisten politischen und auch migrantischen Aktivitäten, die hier und heute Staat, Rassismus und Kapitalismus etwas entgegenzusetzen versuchen. Viele heute aktive Flüchtlingsinitiativen, antifaschistische Gruppen und transnationale Solidaritätsstrukturen wären in ihrer jetztigen Verfassung ohne das Recht auf nicht justiziable freie Meinungen schlicht nicht arbeitsfähig. Der pauschale Angriff des Staates auf persönliche Überzeugungen, der im Verfahren gegen Latife schon jetzt erkennbar ist, stellt eine Gefahr für alle aktiven Menschen in Europa dar. Das muss bei der solidarischen Begleitung des Verfahrens und bei der öffentlichen Rezeption im Fokus stehen.

Der Prozess gegen Latife macht jetzt drei Wochen Pause und wird am Montag, den 20.7. am OLG Düsseldorf fortgesetzt. Eine Woche zuvor, am 14.7., wird es eine Info-Veranstaltung der „Freunde und Freundinnen Latifes“ zum Prozess und seinen Hintergründen im „Café Stil-Bruch“ in Wuppertal geben. Sowohl Latife als auch ihr Rechtsanwalt Meister haben ihr Kommen zugesagt. Weitere Infos folgen.

Geforderte Prozesseinstellung

Donnerstag, 25.6.2015:
Zweiter Tag im Prozess gegen Latife

Nachdem der Prozessauftakt mit einer (Teil-) Verlesung der Anklageschrift im Zeichen der Generalstaatsanwaltschaft gestanden hatte, war der letzte Donnerstag ein Tag der Verteidigung und Latifes. Wie zu erwarten, fehlte die Presse, die in der Vorwoche den Beginn des Verfahrens noch mit einer manipulativen Berichterstattung begleitet hatte. Die nicht sehr zahlreich erschienene «Öffentlichkeit» erlebte dafür zunächst eine Ausweitung der «Sicherheitsmaßnahmen»; jetzt dürfen gar keine Taschen oder Rucksäcke und auch kein Trinkwasser mehr mit in das Gericht genommen werden.

Allgemeine und persönliche Unterdrückungsgeschichte

Angesichts der Dürftigkeit der in der Vorwoche vorgetragenen Anklage war es nicht überraschend, dass der Tag mit einem gemeinsamen Antrag auf Einstellung des Verfahrens durch RA Meister und Latife A. begann. Begründet wurde dies vom Verteidiger mit formalen Defiziten der Anklageschrift. Demnach hätte die Staatsanwaltschaft bei der Schilderung der DHKP-C-Aktionen, die immerhin ein gutes Drittel der gesamten Anklage ausmachen, zwingend auch die Vorgeschichte des militanten Kampfes in der Türkei und den mörderischen Charakter des türkischen Staates berücksichtigen müssen: Die Inhaftierungen, die Folter und das Sterben vieler Menschen bei Gefechten und in den Knästen. Alleine nach dem Militärputsch wurden zehntausende Revolutionäre festgenommen, gefoltert und auch getötet. RA Meister verwies in seiner Begründung dabei auch auf PKK-Verfahren, in denen die Rolle der Türkei und die Legitimität des kurdischen Kampfes auch nicht ausgeblendet werden dürfe, was von deutschen Gerichten zum Teil mittlerweile auch anerkannt würde.

Zuvor hatte auch Latife in ihrer Begründung zur beantragten Einstellung des Verfahrens auf die mörderische Unterdrückungsgeschichte der Türkei Bezug genommen. Sie tat dies allerdings mit einem historischen Rückgriff auf ihre eigene Geschichte als Kind, das in einer alevitsch-kurdischen Familie aus Dersim aufwuchs. Hier fand 1938 ein Genozid an an alevitischen Kurd*innen statt, dem bis zu 100.000 Menschen zum Opfer fielen, 50.000 Menschen wurden vertrieben und verloren ihre Heimat. Latife schilderte, dass erst kürzlich ein Massengrab in ihrem Heimatdorf entdeckt wurde, in dem sich die Überreste von 24 Menschen fanden. Unter ihnen waren auch Latifes Urgoßvater und ihre Großtante.

Als junge Frau kam Latife nach dem Militärputsch 1980 nach Deutschland und war von dieser Geschichte ihrer Heimat und ihrer Familie ebenso geprägt wie von miterlebten Ereignissen aus der Zeit des Putsches: Erneut wurden einige von Latifes Verwandten eingesperrt und gefoltert. Auch deshalb verliess sie die Türkei als überzeugte Antifaschistin und als linke Akteurin, die aufgrund der eigenen Geschichte ein Hauptbetätigungsfeld in der Arbeit für politische Flüchtlinge und Gefangene sah. Neben zahlreichen Kontakten zu linken und antifaschistischen Gruppen in Deutschland ergab sich so auch ein intensiver Kontakt zu «Tayad», eine international anerkannte Menschenrechtsorganisation in der Türkei, die von Angehörigen und Freund*innen inhaftierter politischer Gefangener nach dem Militärputsch gegründet wurde.

Niemals Mitglied einer Partei

Latife, die neben ihrer Arbeit in ihrem Geschäft auch noch als Betreuerin schwer Erkrankter tätig ist, betonte, dass ihre politische, humanistische und soziale Arbeit bis heute durch viele Kontakte zu Menschen geprägt ist, die sie durch die Arbeit für «Tayad» bekam. In diesem Zusammenhang legte Latife großen Wert auf die Feststellung, dass sie niemals Mitglied einer politischen Partei war, auch nicht der DHKP-C. Ihr Ziel sei vielmehr, mit der Arbeit in der «Anatolischen Föderation» für demokratische Rechte von Migrant*innen aus der Türkei einzutreten und sich dabei vor allem um Probleme der inzwischen gealterten ersten Generation von zugezogenen Menschen zu kümmern.

Für Latife und die «Anatolische Föderation» sei es aber ebenso wichtig, den jüngeren Menschen «neue Perspektiven auf ihre eigene Kultur» zu vermitteln. Dabei verwies Latife auf eine traditionell «stärkere soziale und moralische Verbundenheit» türkischstämmiger Migrant*innen, die im Gegensatz zu einer individualistische Grundeinstellung und den wirtschaftlichen und politischen Problemen der neuen Heimat stehe – ein Gegensatz, der oft zum Verlust eines «kollektivistischen Lebenstils», von «Identität» und «Lebensfreude» führe. Daraus resultuerende Konflikte würden in der Folge häufig zu Erniedrigungen und «kultureller Diskriminierung» von Migrant*innen führen, so Latife. Die «Anatolische Föderation» will die Menschen in dieser Situation unterstützen, betonte die ehemalige Vorsitzende des Vereins.

Ein zentraler Punkt bei dieser Unterstützung ist für Latife das Eintreten für das oft nur sehr eingeschränkt vorhandene Recht auf politische Betätigung und Mitsprache der Migrant*innen. Es einzufordern und ständig zu verteidigen sei die Basis der Arbeit der «Anatolischen Föderation». Auch angesichts vieler rassistischer Übergriffe und Anschläge auf Migrant*innen in Deutschland sei eine stärkere politische Partizipation hier lebender Migrant*innen notwendig und selbstverständlich, was zuletzt zu einem besonderen antirassistischen Engagement der «Anatolischen Föderation» nach der Selbstenttarnung des «NSU» geführt habe und zur Forderung, die Zusammenarbeit des deutschen Staates in Form von Polizei und Verfassungsschutz mit dem «NSU» aufzudecken.

Recht auf Selbstorganisation

In der Folge ging Latife auf den demokratischen Charakter der «Anatolischen Föderation» ein, der von der Staatsanwaltschaft bestritten wird. So sei die Gründung nach einer Umfrage unter türkischstämmigen Migrant*innen in Europa erfolgt, die von Kommissionen verschiedner lokaler Vereine aus Deutschland organisiert worden war. Das Ziel sei gewesen, Vorstellungen der Migrant*innen zu einem europäischen Organisationsmodell in Erfahrung zu bringen. Sie selbst sei 2009 in einem demokratischen Verfahren zur Vorsitzenden der «Anatolischen Föderation» vorgeschlagen und schließlich gewählt worden. Vom Verein wurden Demonstrationen gegen Rassismus und Faschismus in jeglicher Form, Infostände und Veranstaltungen organisiert, die sämtlich rechtmäßig angemeldet waren. Sie habe als Vorsitzende zudem vielfältige Kontakte zu Menschen eines breiten politischen Spektrums in Wuppertal, in NRW und in ganz Deutschland geknüpft.

Latife schloss ihren Vortrag mit der Feststellung, dass viele Migrant*innen mit der Überzeugung nach Deutschland kommen, dass es sich dabei um ein demokratisches Land handele. Sie brächten Erfahrungenen von Verfolgung und Folter mit. Auch ihr sei es einst so ergangen. Doch die Hoffnung auf ein friedliches Leben in einem demokratischen Land werde jedoch oft enttäuscht, weil eine echte Integration aufgrund familiärer und politischer Probleme schwierig sei. Daher müssten Migrant*innen sich selbst organisieren, was ein Grundrecht darstelle, von dem die «Anatolische Föderation» Gebrauch gemacht habe. Das auf Behauptungen und Mutmaßungen basierende Streuen des Verdachts, sie stelle als Vorsitzende der «Anatolischen Föderation» eine «Gefahr für die Bevölkerung» dar, sei deshalb ein Verstoß gegen das deutsche Grundgesetz.

Die dafür herangezogenen Paragraphen 129a und b bezeichnete Latife in ihrer Erklärung als Gesinnungsstrafrecht, mit dem antifaschistische und politisch aktive Menschen nach Belieben verhaftet, eingesperrt und isoliert werden. Sie, die seit Jahrzehnten öffentlich und offen politisch gearbeitet habe, zu verhaften und ihre Bewegungs- und politische Betätigungsfreiheit jahrelang einzuschränken, sei daher nicht nur ungerecht und unmenschlisch, sondern auch rechtlich unzulässig, weshalb sie die Einstellung des Verfahrens fordere.

Kleiner Lichtblick

Über den Antrag zur Verfahrenseinstellung wird das Gericht noch entscheiden, zunächst erhält die Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit einem kleinen Lichtblick für Latife ging der zweite Tag des Verfahren dann schließlich zuende: Die Auflagen, die ihr seit der Haftverschonung im Sommer 2013 das Leben schwer machten, wurden zumindest teilweise durch das Gericht gelockert. Zwar darf sie nach wie vor keinerlei Kontakt zu ihren Freund*innen aus der «Anatolischen Föderation» unterhalten, doch wurde ihr ein allgemeines politisches Betätigungsrecht nun explizit eingeräumt. Auch die Auflage, die Stadt Wuppertal nicht ohne einen Antrag zu verlassen wurde gekippt und die Meldeauflagen zudem gelockert.