Gemeinsames Vorgehen

Zur Veranstaltung am 25.8. in der CityKirche
Am 25.8. fand in der Elberfelder CityKirche in Wuppertal eine Veranstaltung zu den aktuell in der BRD laufenden politischen Prozessen gegen türkische und kurdische MigrantInnen statt. Das Interesse war enorm. Trotz hochsommerlichen Augustwetters kamen über einhundert Menschen um Informationen und Einschätzungen zu den laufenden §129b-Verfahren zu erhalten. Das große Interesse auch von «herkunftsdeutschen» Menschen für das doch eher sperrige Thema der Veranstaltung «Drecksarbeit für Erdogan? Die Kooperation deutscher und türkischer Sicherheitsbehörden» war dabei sicher auch den Ereignissen in der Türkei seit dem gescheiterten Putsch geschuldet.

Auch ohne Kazim Bayraktar viele Infos

Neben den eingeladenen Anwälten Roland Meister, Yener Sözen und Frank Jasenski hätte eigentlich auch ein türkischer Menschenrechtsanwalt aus Ankara auf dem Podium der spannenden und teilweise bewegenden Diskussion sitzen sollen – bedauerlicherweise musste Kazim Bayraktar jedoch kurzfristig absagen. Als einer der wenigen noch arbeitsfähigen progressiven Anwälte hat er momentan eine Menge Arbeit – auch an diesem Tag musste er einen Mandanten in der Türkei vor Gericht vertreten. Der Fokus der Veranstaltung verschob sich so zwangsläufig mehr auf die aktuellen §129b-Prozesse in Deutschland, was allerdings an der Fülle der Informationen nichts änderte – leider fehlte am Ende sogar die Zeit zu einer ausführlichen Diskussion mit den Anwesenden.

Denn auch ohne Kazim Bayraktar wurden dem Publikum viele Hintergründe der politischen Prozesse zugänglich gemacht: Die drei deutschen Rechtsanwälte vertreten MandantInnen in allen Prozesskomplexen, die derzeit in der BRD gegen linke migrantische Strukturen vorangetrieben werden – in München gegen angebliche Mitglieder der marxistisch-leninistischen TKP/ML; in Düsseldorf mit Latife gegen ein angebliches DHKP-C-Mitglied und zeitgleich an mehreren Orten gegen Menschen, denen die Mitgliedschaft bzw. Unterstützung der PKK vorgeworfen wird. Ihre fundierten Ausführungen behandelten alle mit diesen Verfahren einhergehende Aspekte: Die politische Dimension, die juristische Spezialgesetzgebung und auch Motive für die deutsch-türkische Kooperation.

Ergänzt wurden ihre Einschätzungen von persönlichen Schilderungen, wie sich die willkürlichen «Terror»-Vorwürfe auf Menschen auswirken, die in unserer Mitte leben und plötzlich aus ihrem Dasein gerissen werden. Latifes Bericht vom Sturm ihrer Wohnung durch ein SEK im 26. Juni 2013 und die emotionalen Erinnerungen Faruk Ererens an Jahre in deutscher Isolationshaft bestürzten sichtlich viele der Anwesenden. An dieser und an anderen Stellen machte die Veranstaltung erneut das zentrale Problem aller 129er-Prozesse klar: Die fehlende Öffentlichkeit und fehlende mediale Berichterstattung führen zu einem Nichtwissen vieler – Angeklagte «verschwinden» im Knast, von ihrem weiteren Schicksal erfahren NachbarInnen und Bekannte kaum noch etwas.

Es bewegt sich was

Doch das könnte sich ändern. Erstmals fokussierte die Veranstaltung mit einem Überblick zu allen laufenden Verfahren auf das Vorgehen des deutschen Staates und seine Kooperation mit der Türkei insgesamt. Denn die Anwendung des jeher zur Einschüchterung verwendeten §129b soll noch weiter ausgedehnt und die Repression gegen aktive MigrantInnen weiter verstärkt werden. Eine Tendenz, die bereits in der vollkommen willkürlichen Anklage gegen Latife deutlich wurde und die sich mit Beginn des Prozesses in München, in dem zehn Menschen beschuldigt werden, der bis heute auf keiner europäischen «Terrorliste» auftauchenden TKP/ML anzugehören, weiter verfestigte. Frank Jasenskis Ausführungen zu den aktuellen PKK-Verfahren stützen diese Beobachtung: Deren Zahl hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen. Derzeit sind zehn Verfahren anhängig oder gerade abgeschlossen worden.

Die Veranstaltung zeigte auf, wohin eine solche Entwicklung führen kann: zur totalen, auch rückwirkenden Repression gegen alle und jede und zur völligen Verunsicherung aller die sich engagieren wollen – es gäbe auch bei vollkommen legaler Betätigung keinerlei Sicherheit mehr vor späterer Strafverfolgung. Diese Erkenntnis dämmert inzwischen immer mehr Menschen. Und so bieten die aktuellen Verfahren auch neue Chancen, gegen den §129 mobil zu machen. Die wichtigsten Gruppierungen der türkisch/kurdischen Linken könnten ungeachtet ideologischer Differenzen zum ersten Mal gemeinsam gegen die Verfolgung migrantischer Strukturen arbeiten und der oft kaum wahrnehmbaren Kritik an der Verfolgungspraxis deutscher Ermittlungsbehörden mehr Gehör verschaffen.

Als deutsche Linke stünden wir in dann vor der Aufgabe, diese Entwicklung zu unterstützen und um eigene Erfahrungen mit dem «Gesinnungsparagraphen» 129 zu ergänzen. Die Veranstaltung in der CityKirche war ein Anfang – für die Unterstützung durch die CityKirche und «Arbeit und Leben, Berg-Mark» möchten wir uns nochmals bedanken.