Anträge der Verteidigung

Mit mehreren Beweisanträgen der Verteidigung ist das Verfahren wegen «Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung» gegen Latife am 42. Verhandlungstag vor dem Düsseldorfer OLG auf die Zielgerade eingebogen.

Die Anträge der Verteidigung zielten gleich in mehrere Richtungen: Zum einen soll nach wie vor der rassistisch-autoritäre Charakter des türkischen Staates und seiner Behörden und die darin begründete Nichtverwertbarkeit von Beweismitteln in den DHKP-C-Prozessen dargelegt werden, zum anderen wird mit einigen Anträgen spezifisch auf einige der in der Anklage Latife zur Last gelegten Punkte und auf ihre Arbeit als 2009 gewählte Vorsitzende der Anatolischen Föderation eingegangen.

So sollen zu ladenden ZeugInnen Auskunft darüber geben, dass der Latife vorgeworfene Erwerb von legalen Vitamin B1-Präparaten für 50 Euro mitnichten der Unterstützung hungerstreikender politischer Gefangener diente, sondern aus Gefälligkeit für eine ihr bekannte kranke Person geschehen ist. Ebenso soll ein Zeuge zum Vorwurf der Generalstaatsanwaltschaft aussagen, Latife habe vorgehabt, eine Geldsumme in die Türkei zu überweisen und dafür «konspirative Wege» nutzen wollen, weil die letzthin nicht zustande gekommene Zahlung über den Dienst von «Western Union» erfolgen sollte. Die zu ladenden Person könne laut Verteidigung bestätigen, dass Latife zur Einzahlung der ungeheuren Summe von 300 Euro vielmehr rein privat als amtsgerichtlich bestellte Betreuerin beauftragt war. Weitere ZeugInnen sollen zudem zu den Aktivitäten und zur Entscheidungsfindung innerhalb der Anatolischen Föderation aussagen.

In weiteren Anträgen wurden die Ladung von Zeugen zur Tätigkeit des Vereins «Tayad» beantragt, der in der Türkei von Familienangehörigen politischer Gefangener gegründet wurde und sich dort für Inhaftierte einsetzt und die Einholung eines Gutachtens durch den an der «London School of Economics and Political Science» lehrenden bekannten Ethnologen Dr. David Graeber gefordert, der den rassistisch völkischen Charakter der türkischen Staates beurteilen soll. Rechtsanwalt Roland Meister beantragte darüberhinaus, insgesamt 34 Urteile der Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in den Prozess einzubringen, in denen die Türkei wegen Verstößen gegen Artikel der europäischen Menschenrechtskonvention im Zuge von DHKP-C-Verfahren verurteilt worden ist.

Schließlich wurde mit drei weiteren Beweisantägen die juristische Grundlage der in der BRD stattfindenden DHKP-C-Prozessen infragegestellt. So möchte Roland Meister jenen BND-Mitarbeiter laden lassen, gegen den seinerzeit im Zusammenhang mit der Causa Alaatin Ateş ein später eingestelltes Ermittlungsverfahren wegen «Unterstütung einer terroristischen Vereinigung» eingeleitet worden war. Er soll zu jenen Aspekten der Zusammenarbeit des deutschen Geheimdienstes mit dem zeitweiligen «Deutschland-Verantwortlichen» der DHKP-C Auskunft geben, zu denen dieser aufgrund seines Aussageverweigerungsrechts nichts zu sagen braucht. Auch der Antrag, zwei Artikel türkischer Zeitungen ins Verfahren einzubringen, zielt darauf ab, Erkenntnisse, die mithilfe türkischer Ermittler oder Zeugen gewonnen wurden, in Zweifel zu ziehen. So berichten die türkischen Zeitungen darüber, dass zwei der «sachverständigen Zeugen» der türkischen Behörden für die deutschen DHKP-C-Prozesse mittlerweile wegen «Verfälschung von Beweismitteln» in der Türkei inhaftiert sind.

Der ausführlich begründete Antrag auf Erstellung eines forensischen Gutachtens zur Verwertbarkeit der 31.000 Textdokumente umfassenden Datensammlung des BKA in der so genannten «Strukturakte» zur DHKP-C, die auf 2004 durch die niederländische Polizei beschlagnahmten Festplatten basiert, verdient besondere Beachtung – beschäftigt er sich doch mit dem eigentlichen Kern aller in Deutschland geführten Prozesse zu angeblichen Mitgliedschaften in der DHKP-C. Roland Meister führte auch unter Zuhilfenahme von Expertisen staatlicher europäischer Stellen einleuchtend aus, dass die seinerzeit sichergestellten Datenträger aus dem Rotterdamer Pressebüro Özgürlük mglw. unter Missachtung grundlegender forensischer Voraussetzungen verwertet und an das BKA weitergegeben worden sein könnten. Träfe dies zu, wäre fast allen ergangenen Urteilen gegen angebliche DHKP-C-Mitglieder die Grundlage entzogen.

Aufgrund der prinzipiellen Bedeutung werden wir uns diesem Beweisantrag und der Datensammlung der «Strukturakte» in der nächsten Zeit noch in einem eigenen Artikel zuwenden. Ob der Senat die Wichtigkeit dieses Punktes ebenso einschätzt, ist freilich fraglich – im bisherigen Prozessverlauf erweckte er nicht unbedingt den Eindruck, der Wahrheitsfindung zuliebe juristische Turbulenzen in Kauf zu nehmen; zuletzt war diese Konfliktscheu bei der mehr als dürftigen Zurückweisung des dritten Einstellungsantrages festzustellen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich der Senat unter Richter Schreiber auf die Mühen der Verteidigung einlässt, dem Gesinnungsverfahren gegen Latife Erkentnisse abzugewinnen. Schließlich ist Richter Schreiber gleichzeitig auch Vorsitzender im Prozess gegen den Islamisten Sven Lau. Ein schnelles Ende des absurden Prozesses gegen Latife könnte ihm daher mehr am Herzen liegen als die eher mühselige Beschäftigung mit fragwürdigen Beweisen.

Das Verfahren wird am Freitag, den 7. Oktober um 10:00 Uhr im Hochsicherheitsgebäude am Düsseldorfer Kapellweg fortgesetzt. Erwartet werden dann Stellungnahmen der Generalstaatsanwaltschaft zu den gestern gestellten Anträgen der Verteidigung und weitere Beweisanträge der Anwälte. Ein solidarischer Besuch des Prozesses ist gerne gesehen, BesucherInnen müssen sich am Engang ausweisen und sollten ihre Telefone daheim lassen.

Sieben Minuten Autismus

Erwartungsgemäß und doch frustrierend war das Resultat des dritten Versuchs der Rechtsanwälte Latifes, das Verfahren vorzeitig zu einem guten Ende zu bringen. Der Einstellungsantrag vom 39. Prozesstag wurde zurückgewiesen.

Ganze sieben Minuten brauchte der Vorsitzende Richter am 5. Strafsenat des OLG Düsseldorf, Schreiber, um am 40. Verhandlungstag (26.08.) gegen Latife den dritten Einstellungsantrag der Rechtsanwälte abzubügeln. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den an den zwei vorangehenden Prozesstagen auf achtzig Seiten aufgeführten politischen und juristischen Argumenten der Verteidigung war dem lakonischen Vortrag des Zurückweisungsbeschlusses an keiner Stelle zu entnehmen. Der Senat verwies im Wesentlichen auf dieselben Ablehnungsgründe, die er schon bei der Ablehnung des zweiten Einstellungsantrags im Januar vorgebracht hatte. Ganz so, als wäre die Lage in der Türkei seitdem gänzlich unverändert, und als hätten die Anwälte nicht fundiert, komplex und detailreich auf zahlreiche Verfahrenshindernisse hingewiesen, die sich aus dem autoritären und antidemokratischen Charakter des türkischen Staates sowie aus dessen nachgewiesener Unterstützung militanter dschihadistischer Gruppen ergeben.

Auch die Entwicklungen in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch am 15.7., die den Einstellungsantrag quasi in Echtzeit mit neuen Willkürakten, Verhaftungen und repressiven Meldungen begleiteten, prallten auf ein autistisches Gericht. Ganz so, als fände das Verfahren gegen Latife in einem eigenen Universum statt, in dem die politische Lage in ihrem Herkunftsland nichts mit dem politische Wirken der Angeklagten zu tun habe. Das ist paradox, behauptet die Anklage doch explizit, Latife habe für eine Organisation gearbeitet, die «gegen die Ordnung der türkischen Republik» gerichtet ist. Schreiber fand sich nicht dazu bereit, Menschenrechtsverstöße der türkischen Regierung und völkerrechtswidriges Verhalten auch nur zu benennen – damit liegt er auch quer zu Richterkollegen in Hamburg, die zuletzt ausdrücklich die dort ebenfalls von der Verteidigung vorgebrachten Argumente zur Lage in der Türkei anerkannt hatten, (ohne freilich von einer dreijährigen Haftstrafe für einen der Mitgliedschaft in der kurdischen PKK Angeklagten abzusehen).

Selbstentmündigung der Justiz

Stattdessen führte Schreiber für den Senat erneut aus, dass die Beurteilung eines Verfahrenshindernisses nicht ihm obliege, weil die Frage der Verfolgbarkeit nunmal nicht juristisch, sondern auf Grundlage des «öffentlichen Interesses» politisch (d.h. durch den Justizminister in Absprache mit Bundeskanzleramt, Außen- wie Innenministerium) entschieden würde. Zudem habe die eingebrachte Unterstützung der Türkei für den so genannten «Islamischen Staat» keinen Bezug zu den verhandelten Verwürfen gegen Latife. Im Grunde wurde in knappen Worten die Selbstentmündigung der Justiz wiederholt: Der Senat habe zwar einen politischen Auftrag ein Verfahren zu führen, aus politischen Fragen hielte er sich aber raus, weil er nicht kompetent sei. Er hinterfrage auch nicht die zugrundeliegenden politischen Entscheidungen. Darüberhinaus: Er wendet sich nicht einmal an den Auftraggeber und fragt dort nach, ob der Auftrag (noch immer) sinnvoll ist. Zumindest das haben andere Senate in der Vergangenheit getan – zuletzt beispielsweise in Celle: Sie baten den Justizminister, die Verfolgungsermächtigung zu überprüfen.

War die dürre Ablehnungsbegründung für Publikum und vor allem für Latife und ihre Verteidigung schon schwer erträglich, setzte die Generalstaatsanwaltschaft gar noch einen drauf: Geistig offenbar noch im Urlaub, machte sie sich nicht die Mühe, überhaupt eine Stellungnahme zum Einstellungsantrag abzugeben. Das vollständige Schweigen der Generalstaatsanwältin kam einer Missachtung der anwaltlichen Bedenken gegen das Verfahren gleich und es ist gleichsam verblüffend wie beängstigend, dass möglicherweise am Ende eines Verfahrens eine Verurteilung stehen wird, obwohl die Staatsanwälte nach Verfassen der Klageschrift durchweg passiv blieben. Anklage und Plädoyer scheinen für eine Verurteilung Latifes völlig ausreichend, was den fatalen Eindruck verstärkt, dass es keinerlei Beweisführung seitens der Generalstaatsanwaltschaft mehr benötigt, um einen Menschen hinter Gitter zu bringen.

Wie geht es jetzt weiter?

Das Verfahren wird nach der erneuten Zurückweisung des Einstellungsantrages also fortgeführt, nächste Termine sind der 15. September, der eher ein «Brückentermin» sein wird, und der 29. September, für den die Verteidigung umfangreiche Beweisanträge angekündigt hat. Der Umgang des Senats mit diesen Anträgen wird endgültig Einblick in die Struktur des Verfahrens geben: Steht das Urteil von Beginn an ohnehin fest, oder gibt es doch ein echtes Interesse des Gerichtes an Erkenntnis und Aufklärung? Je nachdem, wie seine Antwort ausfällt, wird zum 29.9. (oder kurz danach) auch klar werden, auf welche weitere Verfahrensdauer wir uns einzustellen haben. Bei Zurückweisung der Beweisanträge könnte es auch schnell enden und die Plädoyers könnten bereits im Herbst über die Bühne gehen. Als Unterstützer*innen bereiten wir uns jedenfalls vor: Für Oktober laufen nach der erfolgreichen Veranstaltung in der CityKirche Planungen für weitere Veranstaltungen und Aktionen.